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Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Politik 3/2010

Umwelt aufs Abstellgleis

Güterverkehr zu vermeiden oder konsequent runter von der Straße zu bringen, ist nicht mehr Ziel der Bundesregierung.

Foto: DB AG/Michael NeuhausMehr Container auf die Schiene? Findet Schwarz-Gelb nicht so wichtig.

So viel Güterverkehr wie möglich muss auf die Schiene! Das bekräftigte Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer Mitte März in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Er war schließlich mit dem Versprechen angetreten, den vorhergesagten Zuwachs im Güterverkehr vor allem mit der Bahn abzuwickeln. Sein Ministerium scheint das allerdings anders zu sehen.

Die Bundesregierung wolle „einen Neuanfang in der Verkehrspolitik“, sie wolle Mobilität ermöglichen, statt „sie zu behindern“, schrieb Staatssekretär Andreas Scheuer, gleichzeitig Logistikbeauftragter der Bundesregierung, Anfang März in einem Brief an Logistik-, Straßen- und Schienenverbände, darunter der VCD. Scheuer kündigte an, den Masterplan Güterverkehr und Logistik der Bundesregierung „neu zu justieren“. Der Masterplan sei vor allem wegen seines Ziels der Vermeidung und Verteuerung von Güterverkehr kritisiert worden, so der CSU-Mann. Derartige Maßnahmen sollten also nicht fortgeführt beziehungsweise so gestaltet werden, dass sie die Wirtschaft nicht zusätzlich belasteten. Die Verkehrsträger sollten zudem nicht „gegeneinander ausgespielt werden“. Im Klartext: Möglichst viele Güter konsequent runter vom Lkw und rauf auf Bahn und Binnenschiff zu bringen, ist kein Ziel der Bundesregierung mehr.

Den Masterplan Güterverkehr und Logistik hatte die damalige Große Koalition im Juli 2008 verabschiedet. Vorausgegangen war ein zweijähriger Diskussionsprozess, geplant und gesteuert vom Bundesverkehrsministerium. Mehr als 700 Experten aus Politik, Wissenschaft, Wirtschafts- und Umweltverbänden hatten sich daran beteiligt – auch die VCD-Bahnexpertin Heidi Tischmann. Ihrer Ansicht nach war der Masterplan bislang ein akzeptabler Kompromiss zwischen Wirtschafts- und Umweltinteressen. „Der Masterplan hat einen übergreifenden Ansatz verfolgt“, sagt Tischmann. „Es geht darin nicht nur darum, Güterverkehr zu ermöglichen und abzuwickeln, sondern ihn so abzuwickeln, dass er Umwelt und Menschen möglichst wenig belastet.“ Als explizite Ziele nennt der bisherige Masterplan unter anderem, Verkehr zu vermeiden, mehr Verkehr auf Schiene und Binnenwasserstraße zu verlagern und Güterverkehr umwelt- und klimafreundlicher zu gestalten.

Umwelt wird künftig keine große Rolle mehr spielen

Von diesen Zielen rückte die schwarz-gelbe Bundesregierung bereits 2009 im Koalitionsvertrag ab. Dort schrieb sie fest, die Lkw-Maut weder zu erhöhen noch auszuweiten, außerdem sollen die Mauteinnahmen künftig möglichst ausschließlich in den Straßenbau fließen. Testversuche mit überlangen Lastwagen, sogenannten Gigalinern, sollen bundesweit starten. Außerdem lehnt es die Koalition ab – anders als im bisherigen Masterplan Güterverkehr festgeschrieben –, die tatsächlichen Kosten, die Verkehr durch Lärm, Unfälle, Staus und Umweltverschmutzung verursacht, den einzelnen Verkehrsträgern realistisch anzurechnen.

All diese Koalitionsbeschlüsse werden bis Ende Juni Eingang finden in den Masterplan Güterverkehr, der, derart „neu justiert“, im September verabschiedet werden soll. Das verkündete VerkehrsStaatssekretär Andreas Scheuer Mitte Mai auf einem Treffen mit Verbänden, die am Masterplan mitgearbeitet hatten. Allerdings waren dieses Mal die Umweltverbände nicht eingeladen. Neben dem Bündnis Allianz pro Schiene war lediglich der VCD mit Bahnexpertin Heidi Tischmann vertreten. „Es weist alles darauf hin, dass Umweltaspekte beim Güterverkehr künftig keine große Rolle mehr spielen“, lautet Tischmanns Bilanz. „Die beschlossenen Veränderungen begünstigen vor allem den Straßentransport. Der Ansatz des Masterplans, Verkehr, Mensch und Umwelt gemeinsam zu denken, geht verloren.“

Dabei werden Mensch und Umwelt künftig immer stärker vom Gütertransport betroffen sein. Bis 2025 sind nach Expertenschätzungen 70 Prozent mehr Waren auf deutschen Straßen, Schienen und Wasserwegen unterwegs als 2004.

Kirsten Lange

fairkehr 5/2023