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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Politik 2/2010

„Menschen sind wichtiger als Autos“

Der Bürgermeister von Kopenhagen erklärt, wie Städte zu Fahrrad-Metropolen werden.

Foto: Gregor AnthesKlaus Bondam war bis Ende 2009 Bürgermeister für Technik und Umwelt in Kopenhagen, heute ist er für Beschäftigung und Integration zuständig. Der 46-Jährige will aus Kopenhagen bis 2015 die Welt-Hauptstadt für Nachhaltigkeit machen.

fairkehr: Herr Bondam, Kopenhagen gilt vielen als Musterbeispiel für eine klimafreundliche und menschengerechte Stadt, „to copenhagenize“, „kopenhagenisieren“, ist zum Synonym für den Umbau von Metropolen zu lebenswerteren Städten geworden. Was ist das Geheimrezept?
Klaus Bondam: Sie müssen Umweltschutz in alle Bereiche des Stadtlebens integrieren – dieser ganzheitliche Ansatz ist sehr wichtig. Sie brauchen eine bessere Umwelterziehung in Kindergärten und Grundschulen, mehr Parks im Zentrum, breite und sichere Wege für Radfahrer und Fußgänger, denen auch mal Autoparkplätze weichen müssen, Solaranlagen auf Hausdächern. Überhaupt ist der Aspekt Energieversorgung der wichtigste, wenn es darum geht, eine Stadt grüner zu machen und CO2 zu reduzieren.

Verkehr spielt keine so große Rolle?
Doch, das ist nach der Energieversorgung der zweitwichtigste Aspekt. Menschen sind im Stadtbild wichtiger als Autos. Die meis-ten Städte in Europa sind viele hundert Jahre alt – erst in den letzten 40 Jahren ist das Stadtbild mehr und mehr von Autos geprägt worden. Wir dürfen nicht zulassen, dass der Autoverkehr die Städte als Geisel nimmt.

Und was tun Sie dagegen?
Menschen müssen schnell, einfach und ­sicher zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs sein können. Sie brauchen ausreichend breite Wege. Dabei ist auch wichtig, dass sich Radfahrer und Fußgänger nicht in die Quere kommen. Alles in allem gilt: Wenn Verkehr sicherer werden soll, müssen die Menschen draußen unterwegs sein, zu Fuß oder auf dem Rad. Sie müssen das Straßenbild prägen. Nicht zuletzt hat eine gute Fußgängerpolitik auch Auswirkungen auf den öffentlichen Nahverkehr: Wenn niemand zu Fuß geht, fährt auch niemand Bus und Bahn. Wir wollen nicht das Autofahren verbieten. Doch indem wir ÖPNV, Radfahren und Zu-Fuß-Gehen mehr fördern, hoffen wir, dass Autofahrer umsteigen.

Eine gute Infrastruktur ist das eine. Welche Rolle spielen Kampagnen wie „Kopf an: Motor aus“, wenn es darum geht, Menschen auf die Füße und aufs Fahrrad zu bringen?
Kampagnen können Menschen zum Nachdenken bringen – und wenn sie denken, dann tun sie bereits etwas. Sie sollten anfangen, sich zu fragen, ob ihre Art der Mobilität wirklich sinnvoll ist. Kampagnen müssen betonen, dass es „hip“ ist, zu Fuß zu gehen oder Rad zu fahren. Humor spielt dabei eine wichtige Rolle – „Kopf an: Motor aus“ verfolgt ja diesen Ansatz. Noch entscheidender sind prominente Vorbilder. Politiker, Wirtschaftsbosse, Rockstars müssen draußen auf ihren Füßen oder auf Rädern unterwegs sein. In Kopenhagen sehen Sie täglich radelnde Bürgermeister, Ministerinnen und Minister.

Kampagnen oder politische Gesetze, was bringt mehr für den Klimaschutz?
Politische Gesetze bringen mehr. Man muss den Mut haben, auch mal Entscheidungen zu treffen, die bei einigen Menschen nicht gut ankommen, beispielsweise den Autos Parkraum wegzunehmen und dafür Rad­wege zu bauen. Oder Bussen Vorfahrt zu ge­ben. Denn im Bus sitzen 60 Menschen, im Auto sitzt einer. Und auch Fahrgäste sind Wähler. Kampagnen sind zusätzlich wichtig, damit die Bürger verstehen, warum Gesetze nötig sind. Denn erst wenn die Gesellschaft sich verändert, verändert sich auch die Politik wirklich.

Sollten sich denn nun alle deutschen Großstädte ein Beispiel an Kopenhagen nehmen?
Ich sage nicht, dass die Methoden, die bei uns funktionieren, in jeder Stadt anwendbar sind. Dänemark hat bestimmte historische und kulturelle Voraussetzungen. Autos sind hier sehr teuer, wenn Sie einen Pkw kaufen, müssen Sie 180 Prozent Anschaffungssteuer zahlen. Deshalb kaufen sich viele Bürger erst mit 40 Jahren ein eigenes Auto und haben sich bis dahin ans Radfahren gewöhnt. Bei uns gibt es auch nicht so etwas wie eine Radfahrsaison, wir fahren das gan­ze Jahr über Fahrrad. Das hat möglicherweise etwas mit unseren Wikinger-Wurzeln zu tun: „Steig aufs Fahrrad und bezwinge Sturm und Schnee“.

Interview: Kirsten Lange

fairkehr 5/2023