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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 1/2010

Freie Fahrt für die Konjunktur

Milliarden Euro steckt die Bundesregierung in die Verkehrsinfrastruktur, um die Wirtschaft zu retten – und sorgt damit vor allem für neue Autos auf neuen Straßen.

Foto: Marcus Gloger140 Millionen Euro kostete der sechsspurige Ausbau von sechs Kilometern Autobahn zwischen Hagen-Nord und Autobahnkreuz Westhofen. Kosten des Gesamtausbaus des Ruhrgebietsdreiecks: 1,8 Milliarden.

Es gibt sie, die guten Beispiele: „Hamburg – Die Zukunft rollt an“. Seit Februar können dort bis zu 80 Leute auf einmal im ersten Hybridbus der Stadt durch die City fahren – spritsparend. Das Prinzip ist genial einfach „Der Bus tankt beim Bremsen“, sagt Tina Allerheiligen von der Hamburger Hochbahn. Neben einem Verbrennungs- hat der Bus einen Elektromotor unter der Haube. Der wird zum von den Rädern angetriebenen Dynamo, wenn der Fahrer bremst – und lädt die Batterie.

In den USA fahren Hybridbusse schon zu Hunderten durch die Städte. In Deutschland sind sie selten – und teuerer. Aber die Hochbahn bekommt dafür Geld aus den Konjunkturpaketen, die die Bundesregierung verabschiedet hat. Die Krisenhilfe, die schon zu Zeiten der schwarz-roten Koalition verabschiedet wurde, sorgt für eine grüne Bewegung. Wirklich?

Nordrhein-Westfalen: A 1 Bereich Münster Süd – Baustelle zur Rettung der Konjunktur

Die meisten Milliarden liegen mittlerweile auf der Straße. Weißrote Warntafeln, provisorische Ampelanlagen, verengte Fahrbahn – in der gesamten Bundesrepublik gibt es derzeit Baustellen. In den letzten Monaten – die sehr kalten Tage ausgenommen – haben Bauarbeiter rekordverdächtig viele Autobahnen und Bundesstraßen aufgerissen und ausgebaut. „So viel Geld wie im letzten Jahr haben wir noch nie auf die Straße gebracht“, sagt Bernhard Meier vom Landesbetrieb Straßenbau NRW.

In den anderen Bundesländern ist das ähnlich. Grund sind die unverhofften Millionen, die allein für Fernstraßen in den Haushalt des Bundesverkehrsministers geflossen sind. Aus dem Konjunkturpaket I vom Dezember 2008 sind das 950 Millionen Euro. Zum Vergleich: 620 Millionen sind für die Schiene vorgesehen, 430 Millionen für Flüsse und Kanäle. Aus dem Konjunkturpaket II vom Februar 2009 fließen von zwei Milliarden Euro insgesamt für Verkehrswege allein 850 Millionen Euro in Asphalt.

Das Gros der Summe für den Straßenbau ist nicht für die Ausbesserung von Schlaglöchern oder die Sanierung maroder Brücken in Deutschland vorgesehen, sondern für den Aus- und Neubau. Deutschland in der Krise: eine Groß-Baustelle. Das soll der Wirtschaft helfen – und Jobs schaffen. Schnell. Darum müssen die Milliardenhilfen auch bis spätestens 2010 (Paket I) beziehungsweise 2011 (Paket II) ausgegeben werden.

Deshalb sorgte sich der ADAC schon mal und warnte vor Staus. Recht behielt er damit allerdings nicht. In Zeiten, in denen es der Wirtschaft nicht gut geht, verstopfen weniger Lkw die Straßen. Indes ist die Krisenpolitik für die Baubehörde, sagt Bernhard Meier, Landesbetrieb Straßenbau, allerdings eine „große Herausforderung.“ Der Planungsaufwand bringt so manche Behörde an die Grenze der Belastbarkeit. Da müssen schnell viele Projekte aus den Schubladen gezogen werden, die schon lange geplant sind und bereits das Baurecht haben. „Davon profitieren Straßenbauer traditionell am meisten“, sagt Werner Reh, Verkehrsexperte beim BUND, „und das geht auf Kosten der Umwelt.“

Bei vielen Umwelt- und Verkehrsexperten lösen die Konjukturpakete Kopfschütteln aus: „Geld verbraten für ökonomischen und ökologischen Unsinn“ (Winfried Hermann, grüner Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag), „Miserabel“ (Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilfe), „Steuerverschwendung“ (Michael Gehrmann, VCD-Bundesvorsitzender). Ihnen missfällt nicht nur die Bauwut, die der milliardenschwere Kampf gegen den Abschwung ausgelöst hat, sondern auch, dass auf den neugemachten Straßen subventionierte neugekaufte Autos rollen.

Bayern: B 388 Hallbergmoss (Anbindung Flughafen) – Baustelle zur Rettung der Konjunktur

Als die Bundesregierung vor gut einem Jahr die sogenannte Umweltprämie einführte, die allen Neuwagenkäufern 2500 Euro schenkt, wenn sie ein mindestens neun Jahre altes Auto verschrotten, war das der Beginn eines wundersamen Kaufrausches. Die Autohäuser lockten mit mehr als nur den üblichen Rabatten: Der Bund spendierte fürs Abwracken insgesamt fünf Milliarden Euro, so viel wie kein anderes Land. Die Käufer strömten in die Präsentationshallen. Die „Umweltprämie“, wie Ministerialbeamte beharrlich sagten, verhalf VW, Opel, Ford und Toyota zu einer Zwischenkonjunktur, Kleinwagen waren gefragt.

Eine Ökobewegung war das deshalb jedoch noch lange nicht: Umweltkriterien spielten keine Rolle bei der Abwrackprämie, die Regierung hatte darauf verzichtet, den Staatszuschuss an einen geringen CO2-Ausstoß und an die Abgasnorm Euro 5 zu binden. „Die Abwrackprämie hat den Autoherstellern geholfen, ihre Lager zu räumen, aber überhaupt keinen Druck ausgeübt, schnell zukunftsfähige Technik auf den Markt zu bringen“, kritisiert VCD-Autoexperte Gerd Lottsiepen. „Langfristig sichert nur die Produktion energieeffizienter Technik die Arbeitsplätze in der Autoindustrie. Statt in die Zukunft zu investieren, hat der Staat mit der Gießkanne viel Geld verteilt.“

Dabei geht Auto-Krisen-Politik auch anders. Die Franzosen haben ein auf­kommensneutrales Bonus-Malus-System eingeführt. 5000 Euro bekommt, wer ein Auto kauft, das weniger als 60 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer ausstößt – also zweieinhalb Liter pro 100 Kilometer verbraucht. Da geht es um Hybride und E-Mobile. Und auch wer sich einen besonders effizienten Diesel oder Benziner kauft, erhält bis zu 2000 Euro Förderung. Derweil zahlen diejenigen, die sich für einen Spritfresser entscheiden, bis zu 2600 Euro zusätzlich. Hierzulande ist Derartiges nach wie vor nicht geplant.

Brandenburg: B 179 Orts­umgehung Königs Wusterhausen – Baustelle zur Rettung der Konjunktur

Dabei sollte eigentlich alles anders werden, die schwarz-rote Ex-Koalition plante lange eine ökologische Kfz-Steuerreform: Fahrer von Spritschluckern sollten ordentlich zahlen, die Höhe der Steuer vor allem von CO2-Emissionen abhängig werden. Dann kam die Krise – und mit dem zweiten Konjunkturpaket eine Kfz-Steuer, die zum Teil an den Treibhausgasausstoß gekoppelt ist, sich jedoch auch weiterhin am Hubraum orientiert.

„Die Politik hat sich nicht getraut, eine echte Klimasteuer gegen den Widerstand der Autoindustrie durchzusetzen“, sagt Gerd Lottsiepen. „Vorgabe der Autobosse war, dass die Flaggschiffe der deutschen Hersteller, Premium-Karossen und geländegängige Luxuslimousinen mit Dieselmotoren, geschont werden. Deshalb wurde aus der Reform ein Reförmchen, eine Dieselförderungssteuer.“ Für einen Edelgeländewagen wie den Audi Q7 V12 TDI mit 12-Zylinder-Motor, 500 PS, 11,8 Liter Normverbrauch, 298 Gramm CO2 pro Kilometer kassiert der Staat keinen Cent mehr Steuern. Dieselfahrzeuge, die krebserregenden Feinstaub in die Luft blasen, kommen sogar günstiger weg als vorher. Und nur zur Erinnerung: Mit dem ersten Konjunkturpaket befreite die Regierung diejenigen, die zwischen Anfang November 2008 und Ende Juni 2009 einen neuen Wagen kauften, für ein Jahr komplett von der Kfz-Steuer.

Immerhin: Es gibt auch 4200 Bahnhöfe in Deutschland. Und 1500, die als heruntergekommen gelten, sollen aufgehübscht werden. Wolfgang Tiefensee, SPD-Vorgänger des derzeitigen CSU-Verkehrsministers Peter Ramsauer, erklärte das einst so: „Wir sorgen für mehr Service und Information, ansprechende Empfangsgebäude und dichte Dächer.“

Die Umwelt- und Fahrgastverbände beeindruckt das wenig. „Das sind arg notwendige Reparaturen, die ohnehin gekommen wären, vielleicht nur etwas später“, sagt Karl Peter Naumann vom Fahrgastverband Pro Bahn. Das sei alles „nichts Bewegendes“. VCD-Bahnreferentin Heidi Tischmann kritisiert, dass vor allem ein paar teure Prestigeprojekte gefördert werden – etwa die Bahn-Neubaustrecke Nürnberg-Erfurt. „Investiert werden muss vor allem auch in das Bahnnebennetz, um Staus auf der Schiene zu vermeiden, besonders im Güterverkehr“, sagt Heidi Tischmann. Verladestationen, Überholgleise und Güterumschlaganlagen  müsste der Staat eigentlich bauen. Strecken elektrifizieren und auf zwei Gleise erweitern, „um Engpässe in Bahnknoten wie Hamburg, Bremen, Mannheim, Köln und Frankfurt zu beseitigen. Das Geld dafür wäre im zweiten Konjunkturprogramm eigentlich vorhanden“, sagt VCD-Referentin Tischmann.

Auch im öffentlichen Personennahverkehr ließe sich einiges komfortabler gestalten. In mancher Stadt sind Straßenbahnen schon 30 Jahre alt, laut und nicht behindertengerecht. Karl Peter Naumann von Pro Bahn fordert „Wartehäuschen und Fahrradständer an Bushaltestellen, Erneuerung von Bahnübergängen“ – mehr Komfort für alle, die Busse und Bahnen nutzen wollen.

Schleswig-Holstein: A 23 Itzehoe Nord – Baustelle zur Rettung der Konjunktur

Die Regierung solle als Eigentümer die Bahn zum Umsteigen drängen, meint der Grünen-Politiker Winfried Hermann, „vom dreckigen Kohle- und Atomstrom auf klimafreundliche Energie. Auf jedem Bahnhof und auf jedem stillgelegten Gleisfeld könnte eine Solaranlage installiert werden.“  Und die Regierung könne Elektrobikes in den Städten fördern. Denn so mancher Büroangestellter scheut sich, mit dem normalen Rad zur Arbeit zu fahren und möglicherweise verschwitzt anzukommen.

Den Nahverkehr hat die Bundesregierung im Konjunkturprogramm aber kaum bedacht. Der ÖPNV wurde zunächst sogar explizit von der Förderung ausgenommen, Ländern und Kommunen ausdrücklich verboten, Busse und Bahnen aus den Geldern des Konjunkturprogramms zu finanzieren. Die Begründung: Das Grundgesetz schließe Bundeszuwendungen für den ÖPNV aus. Im Juni 2009 wurde diese Regel für Fälle einer „schweren Krise“ immerhin gelockert.

Grüner wird es in Deutschland durch die Konjunkturpakete also nicht, doch schaffen die Milliarden auf den Straßen vielleicht mehr Jobs? „Nein“, heißt es bei den Umweltverbänden. Pro Autobahnkilometer entstünden langfristig zwei Jobs. Im Nahverkehr würden mehr Arbeitsplätze geschaffen. Die Verbände beziehen sich auf eine Studie im Auftrag der EU-Kommission: Danach bringen Schieneninvestitionen doppelt so hohe Wirtschaftsimpulse wie der Straßenbau.

Baden-Württemberg: B 292 Ortsumgehung Adelsheim – Baustelle zur Rettung der Konjunktur

Für moderne Hybridbusse macht die Bundesregierung insgesamt 20 Millionen Euro locker. Dieses Geld ist ein Teil der 500 Millionen Euro in den Konjunkturpaketen, die für die Entwicklung der Elektromobilität eingeplant sind. Die Hochbahn Hamburg wird im Laufe des Jahres weitere Hybridbusse von Daimler/Evobus kaufen. So ein Bus kostet mindestens 500.000 Euro. Da reicht das Geld nicht besonders lange.

Hanna Gersmann

fairkehr 5/2023