fairkehr VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen

Obere Wilhelmstraße 32 | 53225 Bonn | Telefon (0228) 9 85 85-85 | www.fairkehr-magazin.de

Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 6/2009

Zwickmühle Biosprit

Die Bundesregierung hat die Förderung des Treibstoffs vom Acker zurückgefahren. Auch unter Umweltschützern ist die Herstellung von Treibstoff aus Biomasse umstritten.

Fotos: www.istockphoto.comOb Treibstoff aus Biomasse die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringern kann, bleibt umstritten.

Der Glaubenskrieg geht weiter. Taugen Kraftstoffe aus Biomasse zur Entwicklung einer umweltverträglicheren Mobilität oder bewirken sie, wie ihre Kritiker sagen, das genaue Gegenteil? Wegen anhaltender Diskussionen über die Frage der Nachhaltigkeit von Agrotreibstoffen hatte sich die alte Bundesregierung für eine Einschränkung der Biodiesel-Förderung ausgesprochen und die Beimischquote 2009 von 6,25 auf 5,25 Prozent zurückgefahren. Von ihrem ursprüng­lichen Ziel, den Anteil von pflanzlichem Sprit am herkömmlichen Treibstoff auf bis zu 20 Prozent anzuheben, hatte sie sich ganz verabschiedet. Die Mineralölindustrie ist erfreut über die zurückgedrängte Konkurrenz. Die Biodieselbranche fordert verlässliche Rahmenbedingungen als Basis für ihre millionenschweren Investitionen. Ob Treibstoff aus Biomasse die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringern kann, bleibt umstritten.

Energieverbrauch

Umweltschützer kritisieren, dass der Einsatz von Biokraftstoffen dazu führen könne, die Entwicklung energieeffizienter Technik auf die lange Bank zu schieben. Die Automobilindustrie ist in die Förderung synthetischer Kraftstoffe aus Biomasse eingestiegen, weil sie hofft, mit diesem Sprit den Kohlendioxidausstoß ihrer Flotte zu reduzieren. Nicht zuletzt hatte auch die Bundesregierung darauf gesetzt, durch die Förderung von Agrokraftstoffen ihrem gesteckten Klimaziel näher zu kommen. Die EU-Grenzwerte für den CO2-Ausstoß von 130 Gramm je gefahrenen Kilometer, wie von der EU-Kommission als Ziel bis 2015 für den durchschnittlichen Flottenwert für Neuwagen vorgegeben, sollen dadurch leichter erreicht werden. Für den verkehrspolitischen Sprecher des VCD, Gerd Lottsiepen, steht fest: „Wir brauchen unbedingt deutlich energieeffizientere Fahrzeuge, egal welchen Kraftstoff sie tanken. Kraftstoffe aus Biomasse sind viel zu kostbar, um in ineffizienten Maschinen verbrannt zu werden. Sie dürfen nicht dafür herhalten, den PS-Wahnsinn von Mercedes und Co. zu beschönigen. Autobahnraserei mit Biosprit ist ethisch nicht verantwortbar“, sagt der Auto-Experte.

Klimarelevanz

Obwohl sie aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden, sind Agrokraftstoffe nicht per se ökologisch. Zwar wird beim Verbrennen nur die Menge CO2 frei, die die Pflanzen beim Wachsen aufgenommen haben. Aber die Produktion kostet viel Energie. Nach Angaben des Biokraftstoffverbandes bringen Biokraftstoffe im Durchschnitt eine Netto-Klimagasreduktion von 50 Prozent gegenüber Erdöl, mit Schwankungen zwischen 30 und 80 Prozent.

Der Klimaschutzbeitrag von Biokraftstoffen wird allerdings gemindert oder über Jahrzehnte negativ, wenn für den Biomasseanbau Grünland umgebrochen, Feuchtsavanne zerstört oder gar Regenwald abgeholzt wird. „Weltweit hatte fast alle Biobrennstoffproduktion direkt oder indirekt, absichtlich oder unabsichtlich neu gerodetes Land zur Folge“, schreibt die Inderin Vanda Shiva in ihrem Buch „Leben ohne Erdöl“.

Ein Mitte Oktober veröffentlichter Bericht des UN-Umweltprogramms zeigt, dass wenn wie in Malaysia oder Indonesien großflächig Regenwald abgeholzt oder brandgerodet wird, aus der Positiv- eine Negativbilanz wird. Die Mitglieder des „Internationalen Rates für nachhaltige Ressourcennutzung“, an dessen Spitze der deutsche Ökologe Ernst-Ulrich von Weizsäcker vom Wuppertal-Institut steht, schreiben darin, dass pro Liter Biodiesel aus Palmöl 800 Prozent mehr Treibhausgase als bei fossilem Diesel entstehen. Handle es sich bei der freigelegten Landschaft um ein Hochmoor, das besondes viel Kohlenstoff im Boden gebunden hat, könnten es bis zu 2000 Prozent mehr sein. Selbst der Jatrohpa-Busch, der auch in extrem trockenen Gebieten gedeiht, ist nur dann klimafreundlich, wenn er auf unbrauchbaren Flächen gepflanzt wird.

Zusätzlich trägt Lachgas aus dem Dün­ger, den die Bauern auf die Felder aufbringen, zur globalen Erwärmung bei. Das Gas hat ein über 300-mal stärkeres Treibhauspotenzial als CO2.

Flächenpotenzial in Europa

Wer über Förderung und Verwendung von Biosprit streitet, muss sich die Frage stellen, wie viel Fläche überhaupt zur Verfügung steht, um Biomasse zu produzieren. Um einen Biospritanteil von 5,75 Prozent bis 2010 zu sichern, müssten bis zu 27 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen in der EU für die Herstellung genutzt werden – vorausgesetzt, der gesamte Biokraftstoff würde in Europa produziert. Derzeit kommt die Hälfte der Rohstoffe, hauptsächlich Soja und Palmöl, aus Übersee. Die andere Hälfte wird aus EU-eigenen Früchten wie Mais, Weizen oder Zuckerrüben hergestellt. Johannes Lackmann, der frühere Präsident des Biokraftstoffverbandes und heutige Leiter des Kompetenzzentrums für Effizienztechnologie, das im Auftrag des Bundesumweltministeriums arbeitet, hält es für realistisch, einen Anteil von 8,5 Prozent des Treibstoffverbrauchs der EU auf eigenen Flächen zu produzieren. Agrarüberschüsse könnten verwendet und brachliegende oder stillgelegte Flächen rekultiviert werden. Buchautor und Umweltexperte Uwe Lahl vertritt die Meinung, es könne bis 2050 gelingen, 25 Prozent des Energiebedarfs in Deutschland über die heimische Landwirtschaft zu decken, „ohne dass andere Ansprüche an die Flächennutzung unter die Räder kommen würden“.

Gerade an solchen Zahlen scheiden sich die Geister. Der internationale Verkehrsberater Axel Friedrich, ehemaliger Leiter der Abteilung Verkehr im Umweltbundesamt und Mitglied im wissenschaft­lichen Beirat des VCD, vertritt die Position, dass nur eine intensive, industrielle Landwirtschaft, die Raubbau an der Natur betreibe, solche Berechnungen zulasse. Freiflächen würden unbedingt gebraucht, um die Biodiversität zu erhalten. Netze für den Naturschutz sollten ausgeweitet statt weiter zerstört werden. Würde Deutschland wie gefordert verstärkt auf ressourcenschonenden Ökolandbau setzen, blieben keine Flächen für die Biomasseproduktion übrig.

Foto: Volker LannertKlimakiller in Grün: Alle wollen weg vom Erdöl. Aber auch Biodiesel schadet der Umwelt. Sprit aus Palmöl hat eine deutlich schlechtere Öko- und Klimabilanz als fossile Energien. Zu diesem Ergebnis kommt ein Bericht des UN-Umweltprogramms.

Flächenpotenzial weltweit

Global gesehen ist die Lage prekärer. Der Bedarf der westlichen Welt an Agrarprodukten für Treibstoff hat zu einer Konkurrenz auf den Feldern geführt. Das vertreibt Menschen, verschärft den Hunger in der Welt und ist ein weiterer Faktor, der die weltweit steigenden Agrarpreise beeinflusst. Woher nehmen die reichen Länder das Recht, aus Nahrungsmitteln Kraftstoffe herzustellen, wenn gleichzeitig Menschen verhungen? Von sechs auf neun Milliarden Menschen soll die Weltbevölkerung bis 2050 steigen – diese zu ernähren wird schon ohne Agrotreibstoffanbau schwer genug.

Allerdings gäbe es auf der Welt durch­aus Flächen, die für den Biomasseanbau gewonnen werden könnten. Gegner wie Befürworter von Biosprit sind sich einig, dass auf Flächen, die durch salziges Grund- oder Meerwasser für die konventionelle Landwirtschaft unbrauchbar wurden, salztolerante Pflanzen, soge­nannte Halophyten, Biomasse liefern könnten. Auch Wiederaufforstung von Land, das droht, zur Wüste zu werden, könnte die Vegetationsflächen vergrößern, die Erosion stoppen und gleichzeitig neue Arbeitsplätze für die Landbevölkerung schaffen.
Biomasse zur Nutzung als Kraftstoff muss nachhaltig hergestellt werden. Das gibt eine EU-Richtlinie vor. Die Bundesregierung hat dazu eine Nachhaltigkeitsverordnung für Biokraftstoffe verabschiedet, die am 1. Januar 2010 in Kraft tritt. Die Bonner Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) übernimmt die Kontrolle mit Hilfe eines komplizierten Zertifizierunssystems, das dem Pflanzendiesel künftig eine Art Ökosiegel ausstellt. Kraftstoffe, die den Nachweis der nachhaltigen Herstellung nicht erbringen, dürfen ab Mitte 2010 nicht mehr in Deutschland verkauft werden.

Neue Biokraftstoffe

Der Biokraftstoff der zweiten Generation soll nicht aus Nahrungsmitteln gewonnen werden, sondern aus organischen Abfällen. Das Verfahren heißt BtL-Technik, was für „Biomass-to-Liquid“ oder „Biomasse zu Flüssigkeit“ steht. Der Vorteil: Im Gegensatz zum Biosprit der ersten Generation können die gesamte Pflanzen und auch Bioabfall verwendet werden. Nach ersten Untersuchungen soll die Ökobilanz besser sein als bei den meisten herkömmlichen Biosprit-Arten.

Wegen des aufwendigen chemischen Verfahrens kann BtL nur in industriellen Großanlagen hergestellt werden. In einem ersten Werk der Firma Choren im sächsischen Freiberg, das im April 2008 in Betrieb ging, engagiert sich auch die deutsche Automobilindustrie. Den schwe­felfreien Kraft­stoff könnten Autofahrer ohne Umbau des Motors sofort in den Tank füllen. Die Firma plant die Produktion von jährlich 18000 Millionen Liter Kraftstoff. Holzhackschnitzel aus landwirtschaftlichen Schnellwuchsplantagen ­sollen einen großen Rohstoffanteil abdecken, heißt es. Ob man in Freiberg tatsächlich Stroh zu Gold machen kann, wird von Wissenschaftlern bezweifelt. Sollten Holzreste und andere Bioabfälle nicht ausreichen, braucht auch BtL-Sprit energiereiche Pflanzen zur Verflüssigung. Außerdem kostet die Produktion viel Energie.

Fahrrad fahren ist besser

Biomasse erschöpft sich nicht, sie wächst nach. Das ist ihr großer Vorteil. Jeder Li­ter Biokraftstoff ersetzt einen Liter Erdöl. Heute sind die aus Biomasse erzeugten Kraftstoffe noch teurer als fossile Kraftstoffe, aber in ihrer Produktion steckt Entwicklungspotenzial. Sollen Deutschland und Europa unabhängiger vom Erdöl werden, könnten Kraftstoffe vom Acker helfen, die Versorgung mit Energie zu sichern. Angesichts beschränkter Flächen wird Europa allerdings immer auf Importe zurückgreifen müssen – mit den beschriebenen Problemen und Risiken. Nur durch heimisch erzeugte Biomasse würde letztlich die Versorgungssicherheit zunehmen.

Der VCD setzt sich ausdrücklich dafür ein, die Option Agrokraftstoffe zu nutzen. Es werde allerdings in Zukunft da­rum gehen, dass die beigemischten Kraftstoffe umwelt- und sozialverträglich produziert würden, sagt VCD-Experte Lottsiepen. Der VCD fordert deshalb eine verbindliche international geltende Zertifizierung von Agrokraftstoffen. „Es ist aber nicht damit getan, einfach den Kraftstoff zu wechseln. Es geht um die Frage unserer Mobilität, wie wir in Zukunft global verantwortbar unterwegs sein wollen", sagt VCD-Vorstandsmitglied Werner Korn. "Sicher ist Biosprit mit einem glaubhaften Öko-Sozial-Label im Zwei-Liter-Auto ein Fortschritt. Fahrradfahren in der Stadt der kurzen Wege ist aber noch besser. All das müssen wir zusammenbringen."

Uta Linnert

Interview mit Axel Friedrich

Foto: Andreas LabesDr. Axel Friedrich, 61, ist internationaler Verkehrsberater und war zuvor Leiter der Abteilung „Verkehr, Lärm“ im Umweltbundesamt. Er ist außerdem Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des VCD.

fairkehr: Herr Friedrich, halten Sie es für sinnvoll, aus Pflanzen Kraftstoffe zu machen?
Axel Friedrich: Das hängt davon ab, wo die Pflanzen herkommen und wie sie angebaut werden. Nehmen wir das Beispiel Indonesien oder Malaysia: Dort gibt es 20 Millionen Hektar Flächen, die völlig ausgelaugt sind und von Erosion bedroht sind, wo nichts mehr wächst. Wenn man die unter Kultur nähme und dort dann Biomasse für Kraftstoffe wüchse, dann hätte man einen mehrfachen Nutzen: Eine Wiederaufforstung mit Erosionsschutz, ­­­Bin­dung von Kohlenstoff, Gewinnung von Biomasse und gleichzeitig würden noch Arbeitsplätze für die dortige Bevölkerung geschaffen.

Was halten Sie vom Anbau von Rapspflanzen in Europa?
Das macht überhaupt keinen Sinn. Nach einer Umweltbilanz des Umweltbundesamtes ist die Ökobilanz nicht positiv und der Anbau von Raps für Biodiesel sollte nicht gefördert werden.

Könnte man auf ungenutzten, ­brach­liegenden Flächen Energiepflanzen ­anbauen?
Gegen das Wort Brache bin ich allergisch. Was soll das sein? Brache, das können Flächen mit einer hohen Biodiversität sein, die geschützt werden müssen. Die brauchen wir für den Naturschutz. Wir haben das Ziel, zehn Prozent unserer Flächen auf Naturschutz auszuweiten und diese zu vernetzen. Wir brauchen solche brachliegenden Flächen. Die dürfen wir nicht auch noch intensiv bewirtschaften und zerstören. Wir müssen unsere natürlichen Ressourcen vernünftig bewirtschaften. Würden wir keine intensive, industrielle Landwirtschaft mehr durchführen, dann hätten wir gar keine freien Flächen mehr. Für eine Ökolandwirtschaft bräuchten wir 30 Prozent mehr Flächen. Wir würden dann sogar mehr Klimagase einsparen, als durch Biokraftstoffe ­eingespart werden können.

Wären dann keine Flächen mehr frei für Raps?
Genau. Was wir hier für einen Unsinn machen: Wir zerstören die Natur durch intensive Landwirtschaft. Biokraftstoffe ökologisch herzustellen, ohne künstlichen Dünger, das ginge gar nicht auf, dafür gäbe es keine ­Flächen. Diese Preise könnten auch mit herkömmlichen Kraftstoffen niemals konkurrieren. Viel sinnvoller ist es doch, die Entwicklung kraftstoffsparender Autos zu fördern. Da liegt das Potenzial.

Wie klima- und umweltschädlich ist denn Düngung mit Stickstoff?
Jährlich steigt in der Atmosphäre der Lachgasanteil um drei Prozent. Wenn man das noch in die Rechnung mit einbezieht, sind die Biokraftstoffe eben gar nicht mehr sinnvoll, ist die Klimabilanz gleich null.

Was halten Sie von den Biokraftstoffen der zweiten Generation, von BtL?
Dort werden ja immer noch nur ganz kleine Mengen hergestellt. Die energetischen Wirkungsgrade liegen bei maximal 50 Prozent. Holz ist ein wichtiger Rohstoff, der in der ­Industrie und überall gebraucht wird. Als Energielieferant soll man Holz besser direkt zum Heizen verwenden.

Interview: Uta Linnert

fairkehr 5/2023