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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 6/2009

Abschied vom Schmierstoff

Die weltweiten Ölvorräte gehen zu Ende. Für keinen ­anderen Bereich ist das bedeutsamer als für den Verkehr.

Foto: www.istockphoto.com

Eines scheint sicher: Der Sprit wird bald teuer. Kein anderer Bereich hängt so stark vom Öl ab wie der Verkehr: 60 Prozent der geförderten Vorräte fließen schließlich in den Tank von Fahrzeugen – seien es Schiffe, Lkw, Autos oder Flugzeuge. Und längst sind es nicht mehr Außenseiter, die vom nahenden Ende der Ölvorräte sprechen. Auch eine so schwergewichtige Institution wie die Internationale Energieagentur (IEA) warnt inzwischen immer lauter. Bei ihr wird wohl kaum jemand den Verdacht hegen, es handele sich um panikschürende Ökoaktivisten. Schließlich wurde die IEA in den 70er Jahren mit dem Ziel gegründet, den Ölnachschub für die Industrieländer zu sichern.

Vor kurzem hat die in Paris ansässige Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD zum ersten Mal die 800 wichtigsten Ölfelder untersuchen lassen. Ergebnis: Drei Viertel haben bereits das Fördermaximum über­schritten. Aus geologischen und technischen Gründen kann ein Ölfeld nicht gleichmäßig leergepumpt werden, sondern liefert zu Beginn wachsende Mengen und nach einer Phase der Stagnation immer weniger. Der Wendepunkt in der weltweiten Ölförderung wird als Peak Oil bezeichnet.
Das weltweit größte Ölfeld Burgan in Kuwait hatte Ende 2005 sein Maximum erreicht. Seither drücken Ingenieure Wasser in den Untergrund, um den Druck und damit die Ausbeute möglichst hoch zu halten. Auch die älteren Ölfelder in Saudi-Arabien stagnieren.

In den USA fand Peak Oil bereits in den 70er Jahren statt, das mexikanische Offshorefeld Cantarell erreichte seinen Zenit Anfang 2006, und in Norwegen sprudelt seit Beginn des Jahrtausends weniger Öl. Viel schneller als noch vor kurzem prognostiziert, wird die Ölförderung schrumpfen, warnt IEA-Chefökonom Fatih Birol. Der Nachfrageknick durch die Weltwirtschaftskrise hat dieses Problem zwar zunächst in den Hintergrund treten lassen. Doch sobald die Konjunktur wieder richtig anspringt, wird es zu Engpässen kommen, und die Preise werden rasant ansteigen – damit rechnen viele Experten. Konzerne wie Exxon und BP bestreiten diese Prognosen vehement. Es gebe noch viele Jahrzehnte ausreichend Stoff für alle. Die sogenannte Ölreichweite sei in den vergangenen Jahren sogar gewachsen, weil der Preis fürs schwarze Gold gestiegen ist und sich deshalb auch Vorkommen wie die Ölsande in Kanada wirtschaftlich ausbeuten lassen. Nach dieser Rechnung haben die verfügbaren Erdölreserven seit 1990 um etwa 20 Prozent zugenommen – und das, obwohl sich der Verbrauch im gleichen Zeitraum fast verdoppelt hat.

Pkw-Bestand wird sich verdoppeln

Doch Erdölreserve ist nicht gleich Erdölreserve. So geht eine Ausbeutung der Ölsan­de in Kanada mit der vollständigen Zerstörung der darüber wachsenden Urwälder einher. Die Förderung des Energieträgers Erdöl ist außerdem extrem ener­gieaufwendig – und damit wenig effizient, teuer und klimaschädlich. Sehr viel heißer Wasserdampf wird benötigt, um das zähklebrige Gemisch aus Sand, Ton und anderen Mineralien aufzuspalten und zu verarbeiten. Nachdem die am einfachsten zugänglichen Vorräte bereits abgebaut sind, ist die Förderung rückläufig.

Erschwerend kommt hinzu, dass die dringende Nachfrage nach den schwindenden Vorräten steigen wird. Während sich in Deutschland statistisch betrachtet 1000 Einwohner 566 Autos teilen und der Markt noch immer als nicht ganz gesättigt gilt, wollen inzwischen auch in China und Indien Millionen von Familien nicht mehr auf einen motorisierten Untersatz verzichten. Shell geht davon aus, dass sich der heutige weltweite Pkw-Bestand von 700 Millionen innerhalb von 20 Jahren verdoppeln wird.

Die Ölnachfrage wächst – die Förderung schrumpft. Vor diesem Hintergrund rechnet die Internationale Energieagentur damit, dass selbst bei Aufschluss neuer Rohstoffvorkommen noch vor dem Jahr 2020 der weltweite Peak-Oil-Punkt erreicht sein wird – und damit mindestens zehn Jahre früher, als viele Experten und Politiker bisher glaubten. Im Jahr 2030 sei mit einem Durchschnitts­preis von 200 Dollar pro Barrel Rohöl (159 Liter) zu rechnen, kündigte IEA-Chefökonom Fatih Birol an. Andere halten das noch für zu optimistisch. Kurz vor Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise war der Fasspreis schon einmal auf 144,21 Dollar geklettert.
Das alles ficht das Bundesverkehrsministerium nicht an. Dort plant man neue Straßen weiter auf der Grundlage eines Gutachtens des Münchener Verkehrsberatungsunternehmens Intraplan Consult (IPC) und der Beratergruppe Verkehr und Umwelt BVU. Das geht davon aus, dass ein Barrel Öl im Jahr 2030 maximal 60 Dollar kosten wird – wahrscheinlich weniger. Nichts deutet darauf hin, dass der neue Ministeriumschef Peter Ramsauer hier umsteuern will.

Wie ein rasender Asteroid

Dabei kursiert schon seit 2005 ein Report, der im Auftrag des US-Energieministeriums erstellt wurde und nach seinem Autor Robert Hirsch benannt ist. Was der Wissenschaftler dort zum Thema „Peak Oil und seine Folgen“ zu Papier gebracht hat, hätte Verkehrspolitiker und -verwalter sofort aus ihrem Tiefschlaf wecken müssen. Hirsch weist nach, dass es sich bei der weltweiten sich früher oder später einstellenden Förderspitze weniger um eine Energie- als vor allem eine Treibstofffrage handelt, die in fundamentaler Weise den gesamten Transportsektor betrifft. Die Dringlichkeit der Situation sei zu vergleichen mit der, dass ein Asteroid auf die Erde zurase. „Man muss sofort durchgreifend handeln, weil die Zeit davonläuft“, warnte der Wissenschaftler aus San Diego in einer Radiosendung. Ansonsten riskiere man soziale, wirtschaftliche und politische Verwerfungen.

Seit kurzem ist auch in der Autoindustrie angekommen, dass es mit immer spritfressenderen Wagen nicht weitergehen kann – vor allem aus Klimaschutzgründen und wegen entsprechender Abgasvorschriften aus Brüssel. Die Bundesregierung hat im Konjunkturpaket II eine halbe Milliarde Forschungsförderung zur Verfügung gestellt mit dem Ziel, dass im Jahr 2020 eine Million Elektro- und Hybridfahrzeuge auf deutschen Straßen unterwegs sein sollen. Auf der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt wurden erstmals reihenweise Elektromodelle präsentiert. Doch all das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich unter deutschen Kühlerhauben auf lange Sicht fast ausschließlich Verbrennungsmotoren befinden werden. Denn erstens werden Batteriefahrzeuge mittelfristig wesentlich teurer in der Herstellung sein als Diesel und Benziner. Zweitens schaffen sie auch künftig maximal 200 Kilometer, bevor sie wieder sechs bis acht Stunden lang an eine Steckdose müssen.

Foto: www.istockphoto.comWerden Zapfsäulen bald als Sperrmüll ausrangiert? Die Internationale Energieagentur geht davon aus, dass selbst bei Aufschluss neuer Erdölorkommen noch vor dem Jahr 2020 der weltweite Peak-Oil-Punkt erreicht ist.

Bisher keine echten Alternativen

In Israel und Kalifornien laufen gerade erste Versuche mit Wechselbatterien. So wie früher Kutschen regelmäßig ihre Pferde wechselten, so sollen an den „better place“ genannten Stationen frische Akkus vorrätig sein, die innerhalb weniger Momente ausgetauscht werden können. Es ist jedoch absehbar, dass eine solche flächendeckende Infrastruktur in Deutschland auf mittlere Sicht nicht zur Verfügung stehen wird. Und selbst unter der sehr optimistischen Annahme, dass im Jahr 2030 alle neu zugelassenen Wagen völlig ohne Benzin oder Diesel auskommen, wird aufgrund der Lebensdauer der Wagen die Mehrheit der Fahrzeuge auf den Straßen auch dann weiterhin Sprit fressen.

Noch schwieriger dürfte die Umstellung der Lkw sein. Zwar fahren seit kurzem in Deutschland erstmals vier schwere Laster mit Gasantrieb durch die Gegend. Doch ansonsten gibt es bisher keine Alternative zum Diesel. Die Hoffnung, die Lücke mit Biotreibstoff zu schließen, ist verfehlt: Für den Pflanzenanbau würden riesige landwirtschaftliche Flächen benötigt. Etwa 1500 Liter Diesel bringt ein Hektar Raps oder Soja. Würde man schnellwachsende Weiden anpflanzen und daraus BtL – Biodiesel der zweiten Generation – herstellen, wä­ren wohl 4000 Liter möglich.

Nachdem Kanzlerin Angela Merkel vor eineinhalb Jahren mit viel Tammtamm die erste, unter Beteiligung von Shell errichtete „Sunfuel“-Produktionsanlage im sächsischen Freiberg eingeweiht hatte, sprudelt dort allerdings bis heute kein Kraftstoff aus den Leitungen – angeblich wegen sicherheitstechnischer Vorsorgemaßnahmen. Doch selbst wenn reihenweise derartiger Fabriken gebaut und zuverlässig arbeiten würden und alle verfügbaren Äcker in Deutschland mit schnellwachsenden Hölzern vollgestellt wären, könnte der gewonnene Sprit maximal ein Viertel der Autoflotte versorgen. Anders gesagt: Mindestens Dreiviertel der benötigten Rohstoffe müssten aus anderen Weltgegenden kommen. Das aber ist wohl politisch kaum durchsetzbar – schließlich stünden die Biokraftstoffe in direkter Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion. Schon heute hungern weltweit über eine Milliarde Menschen.

Unser Leben wird sich ändern

An einer Lebensstiländerung geht also kein Weg vorbei. Haben sich die Wege von Menschen und Gütern in den vergangenen Jahren immer weiter ausgedehnt und sind die Fahrzeuge immer größer und schneller geworden, wird sich dieser Trend möglicherweise langsam umdrehen. Das ist nicht einfach – schließlich sind Siedlungsstrukturen entstanden, die einen Alltag ohne Auto oft unmöglich machen. Doch wenn ein Le­ben auf dem Land immer teurer wird, zieht es wohl viele Menschen zurück in die Zentren. Oder vielleicht eröffnen in vielen Dörfern bald wieder Tante-Emma-Läden? Und während heute in einem durchschnittlichen Pendlerauto nur 1,2 Personen sitzen, lohnt es sich künftig immer mehr, Kollegen mitzunehmen. Schon jetzt erlebt Carsharing Wachstumsraten von jährlich 20 Prozent. Das Wissenschaftszentrum Berlin tüftelt mit Daimler an einem Konzept, wie ein paar Hundert für jeden nutzbare Elektroautos in Berlin die Notwendigkeit des eigenen Autos überflüssig machen könnten. Und was spricht dagegen, dass bald wieder in mehr als nur drei deutschen Städten Elektrobusse unterwegs sind, die natürlich möglichst mit Ökostrom betrieben werden sollten? 

Absehbar ist, dass lange Lieferwege künftig stärker auf den Warenpreis durchschlagen. Das regt regionale Wirtschaftskreisläufe an. Manches wird auch langsamer ankommen: Schon als der Ölpreis im Sommer 2008 ein Rekordhoch erreichte, drosselten viele große Schiffe ihre Motoren. Zugleich wird gerade mit Riesensegeln für Tanker experimentiert. Unser Leben wird sich an vielen Stellen ändern – schlecht muss das nicht sein.

  Annette Jensen

fairkehr 5/2023