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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 5/2009

Butter auf Weltreise

Foto: www.istockphoto.com

Das Bundesverkehrsministerium geht davon aus, dass der Güterverkehr weiter so zunehmen wird wie in den vergangenen Jahrzehnten. Doch vieles spricht dagegen.

Erstmals sind auf deutschen Autobahnen weniger Lkw unterwegs als früher. Im April registrierte die Mautgesellschaft Toll Collect ein Minus von 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im Hafen von Antwerpen wurden vorübergehend zwei große Umschlagterminals geschlossen, die Deutsche Bahn hat mangels Nachfrage wegen der Weltwirtschaftskrise 35.000 Güterwaggons aufs Abstellgleis geschoben und viele Transportflugzeuge parken in der Wüste.

Sven Ulbrich, Sprecher des Verkehrsministeriums, wiegelt ab: Das alles sei mit Sicherheit nur eine kleine Delle – den Trend bestimme weiterhin ein stetig wachsender Bedarf nach Transportleistungen. Ungebrochen hält er an der Prognose fest, dass die Brummiflotte im Jahr 2025 fast doppelt so viele Kilometer auf deutschen Straßen herunterreißen werde wie heute. Denkbar sei allenfalls, dass die Vorhersagen ein paar Jahre später einträfen als bisher gedacht. Wie ein Naturgesetz scheinen sich die durchschnittlich zurückgelegten Wege immer weiter auszudehnen. Steigerung der Verkehrsleistung heißt das im Fachjargon.

Tatsächlich macht es betriebswirtschaftlich heute durchaus Sinn, Krabben von Schleswig-Holstein zum Pulen nach Marokko zu schicken, anschließend zurückzuholen und dann hinterm Deich in Norddeutschland zu verkaufen: Die Arbeitskosten in Nordafrika betragen nur sechs Euro am Tag. Auch halbfertige Produkte reisen oft für jeden weiteren Arbeitsschritt um den halben Globus. In vielen Bereichen ist der Handel wesentlich schneller gewachsen als die Erzeugung von Gütern.

Tausend Kilometer bis zur Supermarktkasse

Beispiel Nahrungsmittel: Auf den Tellern der deutschen Durchschnittsbürgerinnen und -bürger liegen heute keine größeren Mengen als vor ein paar Jahrzehnten. Auch geben wir bei Lebensmitteln das meiste Geld nach wie vor für Fleisch und Wurst, Molkereiprodukte, Brot und Kuchen aus – alles Waren, deren Zutaten es größtenteils auch in der nahen Umgebung gibt. Dennoch sind viele Produkte inzwischen Hunderte, oft sogar Tausende von Kilometern unterwegs, bevor sie den Scanner an der Supermarktkasse erreichen.

Kam Butter Anfang der 70er Jahre in der Regel aus der Region, weil es damals allein in Westdeutschland tausend Meiereien gab, existieren heute im ganzen Land gerade noch 234 Milchverarbeitungsstellen. Hinzu kommt, dass Deutschland 180.000 Tonnen Butter einführt – knapp die Hälfte aus Irland. Die Kunden können sich für das angeblich streichzartere Fett von der grünen Insel entscheiden, ohne deshalb tiefer in die Tasche greifen zu müssen. Umgekehrt gibt es in Japan, Russland, Saudi-Arabien und Italien deutsche Markenbutter zu kaufen – insgesamt 100.000 Tonnen werden jährlich exportiert.

Gütertransport ist zu billig

Etwa 6,5 Cent kostet es ein Unternehmen, eine Tonne frischer Lebensmittel einen Kilometer weit zu transportieren. Auf Autobahnen erhöht die Maut den Aufwand noch einmal um gut einen halben Cent. Umgerechnet auf ein Paket Butter schlagen 1000 Transportkilometer mit weniger als zwei Cent zu Buche. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht lohnt sich deshalb die Anschaffung riesiger Verarbeitungsmaschinen, die an wenigen Orten mit wenig Personal extrem effizient Massenware herstellen.

Immer verflochtener und mit immer längeren Transportwegen – so wird sich die Wirtschaft auch künftig entwickeln, glauben die Beamten und Politiker im Verkehrsministerium. Regelmäßig ge­ben sie Gutachten in Auftrag, die einen permanent wachsenden „Verkehrsbedarf“ belegen sollen und damit die Begründung liefern, warum immer mehr neue Straßen gebaut werden müssen. Diskutierbar sind diese Szenarien nicht, weil die Herleitung der zugrunde liegenden Daten völlig intransparent ist, kritisierten vor kurzem 30 Universitätsprofessoren in einem gemeinsamen Brief.

Foto: www.istockphoto.comDamit künftig mehr Container mit der Bahn fahren, müsste das Schienennetz ­erheblich ausgebaut werden.

Wohin steigt der Ölpreis?

So glauben die vom Verkehrsministerium beauftragten Berater nicht an steigende Ölpreise. Kostentreiber der letzten Jahre waren einige „Sonderfaktoren“ wie die politische Krisen im Nahen Osten, schrieben das Münchener Verkehrsberatungsunternehmen Intraplan Consult (IPC) und die Beratergruppe Verkehr und Umwelt (BVU) im November 2007. Langfristig dagegen sei „entweder ein Rückgang oder höchstens ein leichter Anstieg“ der Ölpreise zu erwarten. 37 bis 60 Dollar pro Fass lautete ihre Prognose für das Jahr 2030. Das ist mehr als erstaunlich, rechnet doch sogar die Internationale Energieagentur mit 200 Dollar pro Barrel Erdöl.

Auch das Problem, dass in Europa die CO2-Emissionen durch Lkw seit Mitte der 90er Jahre um jährlich zwei Prozent gestiegen sind und dadurch das Weltklima massiv belasten, ficht die Ministerialen nicht an. Mit Telematik und Straßenerweiterungen wollen sie den Verkehr verflüssigen. Darüber hinaus sollen weniger Leerfahrten, eine Schulung der Fahrer und spritsparende Motoren Entlastung bringen. Doch ein Plus von einem Prozent CO2 pro Jahr durch den Straßengüterverkehr erscheint ihnen unabwendbar – und vertretbar. „Es gibt für schwere Lkw bisher keine Verbrauchsgrenzwerte, und alternative Antriebe sind ebenfalls nicht in Sicht“, kritisiert der beim VCD für Klimaschutz zuständige Michal Müller-Görnert.

Kaum eine Rede eines Verkehrsministers kam in den letzten Jahren ohne die Versicherung aus, mehr Verkehr solle auf die Schiene verlagert werden. Zugleich scheint ausgemacht, dass der Anteil der per Bahn beförderten Güter von heute 16 Prozent bis 2025 auf 14,5 Prozent schrumpfen wird. Weil aber die hin- und herreisende Warenlawine immer weiter anschwellen soll, rechnen die Verkehrsberater des Ministeriums von IPC und BVU auch auf den Bahntrassen mit viel mehr Betrieb. Ein Plus von 65 Prozent innerhalb von 20 Jahren nach 2004 – so ihre Prognose.

Infrastruktur reicht nicht aus

„Auf welcher Infrastruktur soll das alles stattfinden?“, fragt nicht nur Thomas Rössler, Geschäftsführer der Unternehmensberatung HTC in Hamburg. Schon in den vergangenen Jahren waren die Kapazitäten wichtiger Hinterlandverbindungen wie der Rheinschiene oder im direkten Hinterland der Seehäfen Hamburg und Bremen/Bremerhaven mehr als ausgelastet. Immer wieder mussten Bahnunternehmen Strafe zahlen, weil sie Lieferzeiten nicht einhalten konnten. Zwar eröffnet die gegenwärtige Verkehrsflaute die Chance, den Ausbau zur Umfahrung von wichtigen Knotenpunkten wie Hamburg-Harburg endlich einzuleiten und dadurch die Kapazitäten des Bahnnetzes entscheidend zu verbessern. „Doch für die prognostizierten Verkehrszuwächse reicht das, was gemäß offizieller Planung derzeit in der Pipeline ist, bei weitem nicht aus“, urteilt Thomas Rössler. Einige Magistralen müssten auf drei oder vier Spuren ausgebaut, andere elektrifiziert sowie Knoten entlastet werden. Nur dann hätte eine Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene im norddeutschen Raum eine echte Chance. Doch solche Pläne gibt es nicht.

Und wo wie zwischen Hamburg und Celle unterlastete Strecken existieren, die einer Privatbahn gehören und modernisiert werden müssten, um schnell auf Marktstandard zu kommen, verhindert der Zuschnitt der staatlichen Finanzierung bislang den Ausbau: Sie gilt nur für das bundeseigene DB-Schienennetz. Auch dass in 15 Jahren doppelt so viel Güterverkehr auf der Straße abgewickelt werden kann, ist unrealistisch. Zwar haben die Konjunkturpakete noch einmal zusätzliche Milliarden für den Straßenbau locker gemacht. Aber je mehr Asphaltpisten es gibt, desto höher werden auf Dauer die Reparaturkosten sein. „Spätestens in zehn Jahren werden die Mittel nicht mehr reichen, um auch nur das Bestandsnetz zu erhalten. An neue Strecken ist dann gar nicht mehr zu denken“, argumentiert Udo Becker, Professor für Verkehrsökologie in Dresden und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des VCD. Noch aber hat die Asphaltlobby einen festen Stand im Ministerium – und verdient gut dabei. Die hohen Bedarfsprognosen liefern die Begründung.

Immerhin müssen sich die Speditionen seit ein paar Jahren via Mautabgabe an der Finanzierung der Autobahnen beteiligen. „Aber die Einnahmen reichen nicht einmal aus, um die Straßenbaukosten zu decken“, kritisiert VCD-Güterverkehrsexpertin Heidi Tischmann. Außen vor bleiben die Betreiber der Lkw-Flotte bisher bei der Finanzierung der von ihr verursachten externen Kosten: Krankenhausaufenthalte von Herzinfarktpatienten und Unfallopfern, die Linderung der Klimafolgen oder die Reparatur von Gebäudeschäden durch Dieselruß.

Kosten gerechter verteilen

Das will das Europaparlament nun ändern. Im März beschlossen die Abgeordneten, dass jedes Mitgliedsland bis zu 20 Cent pro Kilometer kassieren darf, um die Schäden durch Feinstaub, Stickoxid und Lärm auszugleichen. Hinzu kommt die Möglichkeit eines Stauaufschlags in beliebiger Höhe, mit dem ein Land die Lkw-Karawane durch hohe Gebühren für beliebte Trassen und Nutzungszeiten besser lenken kann. Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee und einige seiner Amtskollegen haben allerdings bisher dafür gesorgt, dass das Thema nicht auf der Tagesordnung des Ministerrats aufgetaucht ist.

Einen weitaus radikaleren Vorschlag als eine Erhöhung der Maut hat die Schweizer Alpen-Initiative vor ein paar Jahren ins Spiel gebracht. Sie will die in einem Volksentscheid 1994 beschlossene Höchstmenge von 650.000 Lkw-Durchfahrten durch die Alpenrepublik mit Hilfe eines Zertifikatehandels durchsetzen. Eine vom Staat in Auftrag gegebene Expertise hat bestätigt, dass „eine Alpentransitbörse betrieblich, technisch und rechtlich machbar ist“. Doch bisher hat der Druck aus der EU verhindert, dass die Regierung in Bern ein entsprechendes Gesetz auf den Weg gebracht hat. Auch ein ähnlicher Vorschlag des deutschen Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2005 fand auf politischer Ebene bisher keine Resonanz.
Udo Becker aber ist überzeugt: „Die wahren Preise für den Güterverkehr werden kommen – früher oder später.“

Annette Jensen

fairkehr 5/2023