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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Reise 5/2009

Pixel, Torte und ein Höhenrausch

Aus einer allenfalls wegen der gleichnamigen Torte bekannten Provinzstadt in Österreich wird Linz 2009, die Kulturhauptstadt Europas.

Foto: www.linz09.atLinz leuchtet: Das neue, blau strahlende Lentos-Museum ist ein Blickfang am Ufer der Donau.

Skandal-Rapper Bushido hatte sich in Linz mit einem Einheimischen angelegt. Anschließend ließ er Richter und Journalisten wissen, was er von der Europäischen Kulturhauptstadt 2009 hält: Sie liege einfach „Am Arsch der Welt“. Für viele Menschen reimt sich Linz auf Provinz, ist ein Haufen grauer Schlote im nebligen Smog der Donau, irgendwo zwischen der aristokratischen Festspiel-Stadt Salzburg und der selbstgefälligen Metropole Wien. Einzig bekanntes Markenzeichen der Stadt: Die Linzer Tor­te. Das soll anders werden: Mit einem Etat von fast 70 Millionen Euro für rund 220 Projekte im Jahr 2009 verwandelt sich die oberösterreichische Landeshauptstadt in eine Kulturhauptstadt Europas.

An einem sonnigen Samstagvormittag auf der Linzer Haupteinkaufsstraße, der Landstraße, werfen barocke Kirchtürme ihre Schatten auf den breiten Boulevard. Leckereienläden und Filialen großer Handelsketten werben mit liebevoll dekorierten Auslagen um die Wette. Die Leute bummeln, genießen das milde Wetter. Linz ist schön. Und Linz ist reich. Die Landstraße meldet nach Wiens ­Mariahilferstraße die höchste Publikums­frequenz aller österreichischen Einkaufsmeilen. Die Landeshauptstadt Oberösterreichs hat mehr Arbeitsplätze als Einwohner und weniger Arbeitslose als alle anderen großen Städte des Landes. Täglich kommen rund 80.000 Pendler zum Arbeiten nach Linz.

Schwere Last: Kulturhauptstadt des Führers

Vor gut 70 Jahren bereiteten die meisten Linzer dem bis heute bekanntesten Oberösterreicher einen begeisterten Empfang. Tausende jubelten Hitler auf dem Hauptplatz zu. Der bedankte sich auf seine Weise. Aus dem bis dato kleinen Landstädtchen sollte eine Führer- und Kulturhauptstadt werden. Hier, wo er einst die Realschule besuchte und mit schlechten Noten abbrach, wollte er sich seinen Alterssitz einrichten. In der Nähe ließ Hitler das Konzentrationslager Mauthausen bauen. Häftlinge und Zwangsarbeiter gruben in Linz ein Netz unterirdischer Stollen, das bis heute erhalten ist.

Am Stadtrand entstanden die Reichswerke Hermann Göring, damals eines der größten Stahl- und Rüstungswerke im Deutschen Reich. Damit war der Grundstein für den größten Industriestandort Österreichs gelegt. Linz wuchs rasant. Zahlreiche Nazi-Bauten erinnern an den Größenwahn des im oberösterreichischen Braunau aufgewachsenen „Führers“. Die Nibelungenbrücke entstand 1942, ebenso die beiden Brückenkopfgebäude, die inzwischen unter Denkmalschutz stehen. Aus den Herman- Göring-Werken wurden nach dem Krieg die Vereinigten Österreichischen Stahlwerke VOEST Alpine, die der Stadt bis heute Arbeitsplätze und Wohlstand bescheren.

Linz bekommt Weltstadtschliff

Ende der 70er Jahre begann der Wandel. An der zur Uni aufgewerteten Kunstschule studierten junge Leute, im Rathaus übernahmen die nach dem Krieg Geborenen das Ruder. Dreißig Jahre lang ist die einst als trist und grau verschriene Industriestadt über sich hinausgewachsen. Nun soll ihr das Kulturhauptstadtjahr den Weltstadtschliff geben.

Das alte und das neue Linzer Flair atmen Einheimische und Touristen heu­te im Traditions-Kaffeehaus Traxl­mayr. Frei von Musik- und sonstiger Schallberieselung genießen die Gäste Kaffee- und Kuchenkreationen im Art-Déco-Ambi­ente des 1847 gegründeten Kaffeehauses. Oberkellner Wolfgang Fischer hat 1964 als Lehrling im Traxlmayr angefangen. Wie seine Kollegen serviert er im schwarzen Livré mit leicht geneigtem Kopf würdevoll devot die Mélange, den Braunen oder den Einspänner auf einem Silbertablett mit einem Glas Wasser da­zu. Die leckeren Kuchen und Torten suchen sich die Gäste an einem großen Büffet aus. Wer es wünscht, bekommt eine der 80 Zeitungen und Zeit­schriften des Hauses gereicht – kostenlos natürlich. Nach dem großen Kaffee­­­­­­haus­ster­ben in den 70er Jahren ging es mit dem Traxlmayr wieder stetig bergauf. Hier treffen sich Leute aus allen Gesellschaftsschichten, auch viele junge Leute, die um gediegene Kaffeehäuser früher einen großen Bogen gemacht hätten. Oberkellner Fischer freut sich, dass „sich die Linzer in den letzten 25, 30 Jahren im positiven Sinne sehr weltoffen entwickelt haben“.

Foto: www.pixelhotel.atDie Zimmer des Pixel Hotels sind an unkonventionellen Orten über ganz Linz verteilt.

Überraschende Begegnungen: Pixel und Torten

An einem der Tische im Traxlmayr sitzt Stefan Zowislo, CDU-Politiker aus der Kulturhauptstadt des nächsten Jahres, Ruhr.2010. Er möchte sich für Mülheim an der Ruhr in Linz Ideen holen. Besonders gefällt ihm das Pixel Hotel. Es ist ein Hotel der unkonventionellen Art. Die einzelnen Zimmer und Suiten verteilen sich auf den gesamten Linzer Stadtraum. Ein Zimmer liegt zum Beispiel in einem alten Geschäftslokal, ein anderes in einer Hinterhofwerkstatt oder eines gar auf einem Schiff. Überall in der Stadt finden sich interessante, aber ungenutzte Räu­me, die im Rahmen dieses Architekturprojekts für Linz 2009 zu Hotelzimmern umfunktioniert wurden. Zwei junge Architekten haben einen alten Donaulastkahn und eine ehemalige Werkstatt zur Übernachtungsstätte umgebaut. Die Gäs­te schlafen im Bug des alten Schiffes. So lernen Besucher die Stadt aus ganz ungewöhnlichen Blickwinkeln kennen. Zum Frühstücken geht man in eines der vielen Linzer Kaffeehäuser.

Auch für alle anderen kulinarischen Angelegenheiten sind die Gäste gefordert, die Stadt mit Hilfe von Stadtplan und Tagesticket für sich zu entdecken.
Frühstück gibts etwa bei Fritz Rath in der Pfarrgasse, gleich hinter dem Hauptplatz. An den Wänden hängen Bilder, Landkarten und Zeitungen aus Kaiser Franz-Josefs Zeiten. Die Rückwand des Ladens ist mit dunklem Holz vertäfelt und die Linzer Schnitte schmeckt hervorragend. „Fett, Butter, Zucker, natürlich die Haselnüsse nicht vergessen, geröstete Haselnüsse, Mehl, etwas Milch, Eier und natürlich die Gewürze, und da hat jeder Bäcker, jeder Konditor sein Geheimrezept“, erzählt der Konditor. „Und natürlich, was beim Machen dazugehört, ist die viele Liebe, die man hineinlegt, um eine gute Linzer Torte machen zu können, und natürlich die Ribiesln, also die Johannisbeermarmelade.“

Linzer Worte statt Linzer Torte

Statt Linzer Torte gibt es bei Dominika Meindl Linzer Worte. In ihrem Internet-Blog schreibt sie unter minka­sia. blogspot.com : „Nach einer gescheit gescheiterten Karriere als Philosophie-Rakete und Kabarett-Zirkuspferdchen in der Bundeshauptstadt bin ich in den identitätsschwachen Zentralraum von Oberösterreich heimgekehrt und vertreibe mir die Zeit bis zur Einführung der Grundsicherung als Schmierfink für Texte aller Art“, lästert sie online über sich selbst und empfiehlt sich als beste Kennerin ihrer Heimatstadt.

Ihre Ideen findet Dominika auf der Straße oder in der Trambahn, wo sie die Menschen beobachtet. Alle drei Linien durchqueren die schmale, lang gezogene Stadt von Nord nach Süd. „Da hat man sich schnell einen Überblick verschafft, weiß die Bloggerin mit dem trockenen, sarkastischen Humor. Das Kabarett schreibt das Leben. Zum Beispiel in Form der beiden Pensionistinnen, die sich ausgiebig darüber unterhalten, mit welchem Hob­by sich die Zeit wohl am effektivsten totschlagen lasse. Im Kulturhauptstadtjahr will die Bloggerin „endlich mal kulturell überfordert sein“. Das könnte klappen.

Robert B. Fishman

fairkehr 5/2023