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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Politik 5/2009

Die Deutschland-Fahrkarte

Foto: DB AG/Heiner Müller-ElsnerBeim „Touch & Travel“-Pilotprojekt der DB melden sich die Nutzer an speziellen Terminals, beispielsweise im Berliner Hauptbahnhof, an.

Mit elektronischem Fahrschein überall Bus und Bahn nutzen: Das ist die Vision des Projekts e-Ticket Deutschland. Doch das e-Ticket sollte besser erst der zweite Schritt sein, sagt der VCD.

Gelegenheitsbahnfahrerin Birgit Mustermann muss von Frankfurt aus zu einem Geschäftstermin nach Hannover. Der ICE bringt sie in zweieinhalb Stunden in die niedersächsische Hauptstadt, am Hauptbahnhof springt sie in die Stadtbahn, das letzte Stück fährt sie mit dem Bus – ohne einmal ein Ticket zu lösen.
So sieht die Zukunft des Bus- und Bahnfahrens für alle aus, wenn es nach den Befürwortern des elektronischen Fahrscheins für ganz Deutschland, kurz e-Ticket, geht. Mit nur einer Chipkarte in der Tasche sollen ÖPNV-Kundinnen und -kunden in jedem Verkehrsverbund der Republik einfach einsteigen und losfahren können, ohne sich um Tarifwaben, Preisstufen oder Entwertungsvorschriften zu kümmern. Davon sollen vor allem Gelegenheitsfahrer profitieren und Menschen, die viel in verschiedenen Städten und Regionen unterwegs sind, Autonutzer sollen zum Umsteigen bewegt werden. „Das e-Ticket wird den öffentlichen Personenverkehr noch komfortabler und attraktiver machen“, versprach Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee im Dezember 2008. Die Verkehrsministerkonferenz der Länder hatte im Oktober desselben Jahres die Einführung eines bundesweiten e-Tickets begrüßt und erklärt, das Projekt vorantreiben zu wollen.

Der politische Wille scheint also vorhanden, der technische Standard ist es ebenfalls: Gefördert vom Bundesverkehrsministerium, hat der Verband der Verkehrsunternehmen VDV in den Jahren 2002 bis 2005 einen bundesweiten Standard für e-Tickets entwickelt, die sogenannte Kernapplikation VDV-KA. Mit ihr arbeiten alle Verkehrsverbünde und -unternehmen, die das e-Ticket in Pilotprojekten erproben. Zurzeit sind das sieben, darunter der Verkehrsverbund Rhein-Sieg VRS, der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr VRR, der Kreisverkehr Schwäbisch-Hall KVSH, der Ostalbkreis OAK und der Nahverkehr Hohenlohekreis NVH.

Zur Anwendung kommen zwei unterschiedliche technische Varianten. Der VRS und der VRR beispielsweise geben alle Jahresabos als e-Ticket aus: Auf einem Chip sind Gültigkeitsdatum und ­-bereich und der Name des Inhabers gespeichert. Fahrkartenkontrolleure überprüfen den Chip mit einem Lesegerät.
In Schwäbisch-Hall und im Hohenlohekreis arbeiten die Verbünde mit einem „Check-in/Check-out“-Verfahren. „Die Fahrgäste melden sich beim Einsteigen an und beim Aussteigen wieder ab, indem sie ihre Chipkarte an die markierte Fläche an einem speziell gekennzeichneten e-Ticket-Terminal halten“, erklärt Sjef Janssen, Geschäftsführer der VDV-Kernapplikations GmbH. Ein Bordrechner erkennt die Fahrtlänge und berechnet die Kosten. Abgerechnet wird in den Modellregionen zurzeit noch „postpaid“, das heißt, das Geld wird im Nachhinein vom Konto abgebucht. Es ist technisch jedoch auch möglich, ein e-Ticket „prepaid“ mit einem Guthaben aufzuladen. 

Foto: DB AG/Wolfgang KleeLieber erst einmal durchgehende Tickets für Zug, S- und U-Bahn einführen, dann ins e-Ticket investieren, fordert der VCD.

Finanzierung offen

Bislang akzeptieren lediglich KSVH und Ostalbkreis ihre e-Ticket-Kontokarten gegenseitig, der NVH soll demächst ebenfalls eingebunden werden. Das Ziel eines Fahrscheins für ganz Deutschland scheint noch weit entfernt, aber Sjef Janssen ist trotzdem zuversichtlich: „Wir erwarten, dass bis 2014 in 30 Regionen der Bundesrepublik eine Form des e-Tickets vorhanden sein wird.“

Es gibt in Deutschland keinen offiziellen Beschluss, das e-Ticket bundesweit einzuführen. Die Entscheidung bleibt den Verkehrsverbünden und -unternehmen vor Ort überlassen, in Absprache mit den Ländern. Ebenso die Finanzierung. Das Bundesverkehrsministerium hat bislang knapp zehn Millionen Euro in das e-Ticket-System investiert. „Bis 2015 soll die Einführung des e-Ticket Deutschland durch eine Verstetigung der Bundesmittel weiter gefördert werden“, heißt es aus dem Ministerium. Das wären voraussichtlich etwa 20 Millionen Euro. Der VDV schätzt, dass eine „vernünftige Verbreitung“ des e-Tickets 650 Millionen Euro kosten wird. Das Beratungsunternehmen Booz Allen Hamilton errechnete für die bundesweite Einführung sogar Kosten in Höhe von 1,2 Milliarden Euro – die sich nach Angaben der Berater um bis zu 80 Prozent reduzieren ließen, wenn Verkehrsunternehmen, Mobilfunkanbieter und Finanzdienstleister erfolgreich kooperierten.

Nach Einschätzung von Matthias Kurzeck aus dem VCD-Bundesvorstand wird sich ein funktionierendes e-Ticket-System für die Unternehmen trotzdem lohnen. Er kritisiert, dass weitere Fahrkartenschalter geschlossen würden.   „Warum investiert die Bundesregierung die Millionen Euro nicht zunächst einmal in eine vernünftige Fahrgastberatung, die jedem Bus- und Bahnnutzer einfach zum günstigsten Ticket verhilft?“, so Kurzeck.

Derweil arbeitet die Deutsche Bahn AG an einem eigenen bundesweiten e-Ticket-System für alle Tochterunternehmen, das ebenfalls den VDV-Standard nutzt. „Touch & Travel“ heißt das Pilotprojekt, das bislang zwischen Berlin und Hannover, im Berliner S-Bahnnetz und in Schleswig-Holstein erprobt wird. In diesem Oktober kommt die Fernverkehrsstrecke Berlin–Frankfurt/Main hinzu, 2010 das Ruhrgebiet im Rahmen des europäischen Kulturhauptstadtjahres. Mithilfe eines Chips im Handy melden sich die Kunden an einem „Touchpoint“ an und wieder ab. Der Preis wird ihnen nach der Fahrt auf dem Handy angezeigt. Bedenken, dass das System möglicherweise nicht immer zugunsten der Fahrgäste abrechnet, lässt die DB nicht gelten. „Sie können darauf vertrauen, dass immer der günstigste Tarif berechnet wird“, betont ein Bahnsprecher. So werde Vielfahrern auf einer bestimmten Strecke beispielsweise automatisch eine Monatskarte angeboten.

Zweiter Schritt vor dem ersten

Sjef Janssen, Chefentwickler des VDV-e-Ticket-Standards, betont, dass das e-Ticket vollkommen neue Tarifstrukturen ermögliche: „Die Verkehrsunternehmen können beispielsweise darüber nachdenken, ob sie nicht eine bestimmte Summe von Kilometern verkaufen.“ Auch die Deckelung von Fahrtkosten sei möglich: In London beispielsweise zahlten Kunden mit ihrer Chipkarte für Einzelfahrten nie mehr als den Preis für ein Tagesticket.

Dennoch: „Alles in allem wird mit dem e-Ticket der zweite Schritt vor dem ersten getan“, stellt Matthias Kurzeck vom VCD-Bundesvorstand fest. Der VCD fordert zunächst den bundesweiten Verkauf von „durchgehenden“ Fahrkarten. Nah- und Fernverkehrskunden egal welches Bahnunternehmens sollten mit ihrer Bahnfahrkarte gleichzeitig ein Ticket für den ÖPNV am Zielort kaufen können. Die Karte würde um den Betrag des Stadtverkehrstickets teurer. Bei der DB gibt es diesen Service für alle Nah- und Fernreisenden unter dem Namen „City mobil“ in bislang 70 Städten.

Verkehrsunternehmen dürften die e-Ticket-Daten nicht nutzen, um von Fahrgästen Bewegungsprofile zu erstellen, mahnt der VCD zudem den Datenschutz an. Auch dürfe das elektronische Verfahren nicht auf Kosten derjenigen gehen, die auf Beratung angewiesen bleiben, unter anderem Wenigfahrer oder Reisende aus dem und ins Ausland, so Kurzeck. „Werden weitere Schalter ­geschlos­sen und der Service in Bahnagenturen oder Reisebüros noch teurer, sind sie die Leidtragenden.“

Kirsten Lange

fairkehr 5/2023