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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Kolumne 3/2009

Foto: istockphoto.comWichtige Volksvertreter können wichtige Termine nur mit Limousine erreichen.

60 Jahre Limousinenrepublik

Heute ein Augenzeugenbericht aus Berlin. Es geht mal wieder um ­Limousinen. Politikerlimousinen sind eines meiner Lieblingsthemen. Ich möchte als der Begründer des Begriffes „Limousinenrepublik“ in der politischen Debatte reüssieren. Ich habe ­gesehen, wie viele Limousinen der deutsche Staat auffahren kann. Das ist beachtlich. Nur wer die Limousinen kennt, weiß, wo Verkehrspolitik in Deutschland erdacht wird.

Berlin ist beispielsweise von meinem derzeitigen Wohnort Maastricht aus ohne Limousine mit der Bahn etwas kompliziert. 6 Stunden 20 sind nicht das Problem. Aber da ist der anspruchsvolle Umsteigemarathon am Anfang der Reise in Roermond, Venlo, Viersen, um den ICE in Duisburg zu erreichen. Man könnte meinen, die Grenze zwischen Deutschland und den Niederlanden sei erst im letzten Jahr geöffnet worden. Ich kann mit dem Zug beispielsweise nicht direkt nach Aachen ­rüberfahren, obwohl das nur 40 Kilometer sind. Es gibt keine vernünftigen Schnellzugverbindungen in den Osten, doch die Autobahnsituation ist ausgezeichnet. Ein Hinweis, dass hier politisch Verantwortliche zu viel Limousine gefahren sind.

Das muss sich natürlich ändern. Weshalb klar ist, dass die ­europäischen Wahlen auch die wichtigsten Wahlen in diesem Jahr sind. Wenn ich so was sage oder behaupte, Brüssel sei mir nicht nur geographisch näher als Berlin, dann meinen viele deutschen Freunde, ich mache Witze. Aber nein, sage ich dann, meine Heimat ist die EU und ich liebe sie.

Horst Köhler bleibt Bundeslimousinenpräsident

Da macht es mich schon immer ein bisschen eifersüchtig, wenn ich sehe, dass in Deutschland im Fernsehen alles aus dem Kasten geholt wird, wenn es gilt, 60 Jahre Bundesrepublik emotional zu verpacken. Oder wie eine politisch begrenzt relevante BundespräsidentInnenwahl vom Fernsehen inszeniert wird. Jawoll, Horst Köhler bleibt Bundeslimousinenpräsident! Was Sie in der ARD nicht gesehen haben, war das Wesentliche dieser Wahl: Die Limousinen! Ich war vor Ort und beeindruckt. Zufällig fuhr ich nämlich 23. Mai mit dem Fiets am Reichstag vorbei. Da kam am Nebeneingang eine Frau heraus und ich musste scharf bremsen. Es war Gesine und sie stieg in eine Limousine. Aber nicht in jene mit dem tollen Ständer. Die Präsidenten­-­limo mit der Fahne hatte ich schon vorher gesehen, als Horst Köhler heran­gebraust kam. Wie im Film. Erst Polizeimotorräder und dann drei riesige Mercedesse, schwarz, mit getönten Scheiben.

Ich habe vor Monaten mal erklärt, warum der Bundespräsident nach eigenen Angaben kein Auto unter 120 g/km CO2 fahren kann. Tatsächlich ist das Auto des Staatsoberhaupts protokollgemäß wohl auch die dickste ­Limousine von allen. Tolle ­Limousinenfeier: Rechts vom Reichstag wartete nämlich eine ganze Armada. Limousinen, so weit das Auge reichte! Das waren die Schiffe im Dienste der mehr als 1200 Wahlmänner und -frauen im Saal. Ich schätze, es waren 459 Limos. Wahrscheinlich war es die versammelte Fahrbereitschaft des Bundestages und der Länder. Eigentlich nur Mercedesse. Ein bisschen BMW, ein bisschen Audi. In den Limousinen saßen geschätzte 459 coole Fahrer. Sie saßen da den ganzen Tag und warteten auf die wichtigen Volksvertreter und Regierenden, die später wieder irgendwo wichtig hinmussten und das nicht mit ÖPNV oder Taxis machen konnten.

Und Limousinenrepublik heißt natürlich: Keines der Fahrzeuge, die ich gesehen habe, erfüllte auch nur im Entferntesten die Anforderungen an modernes Fahrzeugdesign in Zeiten des Klimaschutzes. Die meisten dürften CO2-mäßig jenseits von Gut und Böse liegen. Bin ich ein kleinlicher Öko-Spießer, der sich verbohrt mit Nebensächlichkeiten beschäftigt? Mitnichten. Die meisten deutschen Politiker und Politikerinnen halten eine derart lächerliche und unnachhaltige Organisation von Verkehr für normal. Raus aus der Limousine wäre da ein wichtiger Schritt zurück ins echte Leben.

Martin Unfried

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