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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 1/2009

Von der Autoindustrie lernen

ÖPNV-Experte Armin Langweg erklärt, wie eine erfolgreiche Vermarktungskampagne aussehen und woran sie scheitern kann.

Foto: Marcus Gloger

Herr Langweg, warum müssen Verkehrsunternehmen und -verbünde überhaupt Werbung machen? Auf Bus und Bahn werden Menschen doch sowieso immer angewiesen sein.
Aber die Zahl derer, die an öffentliche Verkehrsmittel wirklich gebunden sind, wird immer kleiner. Die Schülerzahlen gehen zurück und immer mehr Senioren haben ein Auto. Hinzu kommt, dass die öffentlichen Fördermittel weiter gekürzt werden. Um das heutige System ÖPNV aufrechtzuerhalten oder auszubauen, sind Unternehmen und Verkehrsverbünde, besonders im ländlichen Raum, darauf angewiesen, neue Kunden zu gewinnen: solche, die ein Auto haben und Bus und Bahn aus Wahlfreiheit nutzen. Diese Kunden wollen klug und geschickt umworben werden. In punkto Marketing können sich ÖPNV-Unternehmen und Verbünde durchaus einiges von Automobilunternehmen abschauen.

Was denn zum Beispiel?
Sie müssen sich mehr für die Bedürfnisse ihrer potenziellen Kunden öffnen, herausfinden, was die Zielgruppen, die sie gewinnen wollen, interessiert. Zum Beispiel in Form von Internetbefragungen, einem Beschwerdemanagement oder mit Hilfe von Fokusgruppen, in denen Zielgruppenvertretern Kampagnen- und Produktideen präsentiert und sie nach ihrer Meinung befragt werden. So lassen sich Produkte und Vermarktungsstrategien auf Nutzerbedürfnisse zuschneiden. Außerdem müssten ÖPNV-Unternehmen – wie das die Autoindustrie auch tut – stärker auf eine emotionale Ansprache setzen, um das Image des Bus- und Bahnfahrens langfristig zu verbessern.

Welche Facetten des ÖPNV lassen sich mit einem emotionalen Ansatz bewerben?
Man kann zwischen vier zentralen Dimensionen der Mobilität unterscheiden: Autonomie, Privatheit, Status und Erlebnis. Diese vier Aspekte werden vom Verkehrsmittel Auto erfüllt und von den Herstellern beworben. Für den ÖPNV gilt vor allem die Erlebnis-Dimension und in Großstädten, mit Abstrichen, die Autonomie. Diese Elemente sollten entsprechend vermarktet werden. Mit dem öffentlichen Nahverkehr lässt sich die Stadt gut erkunden, in Bus und Bahn kann man andere Menschen kennenlernen. In der heutigen Zeit, da es immer mehr Singles gibt, erregt beispielsweise das Motiv „Partner finden“ in Werbespots und auf Plakaten durchaus Aufmerksamkeit. Ein weiterer Vorteil von ÖPNV-Anbietern ist ihre Verwurzelung in der Region. Werbung, die auf lokale Identifikation setzt, kommt in der Regel gut bei den Nutzern an.

Bringt ein positiveres Image den Unternehmen denn wirklich mehr Fahrgäste?
Es ist nur mit viel Aufwand messbar, weshalb Menschen auf Bus und Bahn umsteigen – ob es an den hohen Benzinpreisen, den ständigen Staus im Berufsverkehr oder an einer guten Imagekampagne liegt. Gute Imagekampagnen wie in Wien können jedoch nachweislich vermitteln, dass Bus- und Bahnfahren Spaß bringt, dass es cool ist, dazuzugehören. Dann sind Menschen, die wählen können, eher bereit, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen. Ob sie dort bleiben, entscheidet die Qualität des ÖPNV.

Gibt es Fallstricke, die Unternehmen bei der Vermarktung unbedingt meiden sollten?
In den Kampagnen sollte nichts behauptet werden, das nicht der Realität entspricht. Wenn ein Verkehrsunternehmen im ländlichen Raum mit der Freundlichkeit seiner Chauffeure wirbt, dann sollten die Fahrer auch zuvorkommend sein. Sonst schlägt eine solche Imagekampagne ins Gegenteil um. Der Glaubwürdigkeitsanspruch an ÖPNV-Werbung ist höher als an Autowerbung. Ein Grund dafür: Der öffentliche Nahverkehr wird als Kollektivgut wahrgenommen, das mit Steuergeldern gefördert wird. Da sollen die Unternehmen dann auch halten, was sie versprechen.

Warum sind originelle ÖPNV-Marketingkampagnen bislang eher die Ausnahme als die Regel? 
Oft liegt es am Selbstverständnis der Unternehmen. Bislang liegt der Schwerpunkt ihrer Arbeit auf einem sicheren und effizienten Betrieb. Die Orientierung an Kundenwünschen und Imagewerbung spielt eine weniger große Rolle. Dafür müssten die Unternehmen und Verbünde sowie deren Träger, in der Regel die Kommunen, auch Geld in die Hand nehmen. Und sich entscheiden: Wollen sie einfach nur mit möglichst wenig Aufwand Menschen von A nach B transportieren? Oder wollen sie neue Kundengruppen erschließen?  Das gibt es nicht zum Nulltarif – aber es lohnt sich.

Interview: Kirsten Lange

Mehr lesen: Armin Langweg, Klaus J. Beckmann, Marcel Hunecke: Symbolisch-emotionales Marketing für den ÖPNV. Maßnahmen zur nutzerorientieren Angebotsgestaltung und Kommunikation. Alba Fachverlag 2007, 144 Seiten, 24,80 Euro

fairkehr 5/2023