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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Reise 1/2009

Sanft mobil

Ein Dorf schneit ein, die Zeit steht still.

Foto: Uta LinnertNichts fährt mehr: Nach zwei Tagen Schneefall sind viele Pässe in den Dolomiten für den Verkehr gesperrt.

Es schneit, fein und leise, ganz undramatisch. Beim Gang durchs Dorf um Mitternacht können wir das pudrige Weiß noch von den Zäunen pusten. Ein paar Stunden später sieht die Welt ganz anders aus. Im Hotelzimmer wird es nicht hell. Die Jalousie, durch die das Morgenlicht gestern in Streifen geschnitten aufs Bett fiel, hängt im fahlen Grau. Der Neuschnee hat die Dachgauben komplett zugedeckt, vor den Scheiben liegen dicke Schneepakete.

Skifahren gehen wir heute trotzdem. Peter Runggaldier, ein ehemaliger Ski-Weltcup-Fahrer aus Südtirol, will eine kleine Gruppe internationaler Journalisten mit den schöns­ten Pisten seiner Heimat vertraut machen. Hänge, die nicht lawinengefährdet sind, dürfen befahren werden. Es schneit wie wild und alles ist einfach nur weiß. Schwer zu sehen, wo oben ist, wo unten. Die Dolomiten, deren gigantische Felsentürme sonst golden in den blauen Himmel ragen, sind im Flockenwirbel versunken. Einzige Orientierung geben die Tannen, deren Äste unter der Schneelast zum Boden zeigen.

Der Schnee bremst die Fahrt und entschleunigt den Skitag komplett. Sanft mobil geht es voran statt rasend bergab wie sonst auf den glattgewalzten Pisten. Alle suchen einen Weg durch Schneemassen, die bis über die Knie reichen. Für Nicht-Profis wird jede Kurve zum Balance­akt, aber weicher als in dieser sahnigen Masse kann man nicht landen.

Schneekanonen bleiben aus

Mittags mit Schwindel und schweren Beinen Einkehr in die Hütte. „Hier in Arabba schneit es immer mehr also drüben hinter dem Campolongopass“, erzählen die Einheimischen. Seit 1986 habe es in der auf 1600 Metern Höhe liegenden Gemeinde zwischen Marmolata-Massiv und Sella-Gruppe nicht mehr so viel geschneit. „Der hält sicher bis in den April“, sagt Alexa Tammerle, die junge Südtirolerin, die für das Pistenunternehmen Dolomiti Superski mit auf Tour ist.
Diese Saison können die Schneekanonen also ausbleiben. Ein seltenes Ereignis im sonnenverwöhnten Dolomitengebiet, das mit enormem technischem Aufwand auch in trockenen Wintern Schneesicherheit auf den Pisten garantiert. Gespräche über Sinn und Unsinn von Kunstschnee, Nachdenken über Energie- und Wasserverbrauch oder steigende Temperaturen passen heute nicht ins Bild.

„Diskussionen über den Klimawandel bekommen bei diesem Wetter eine ganz andere Wendung“, freut sich Dolomiti-Superski-Sprecher Gerhard Vanzi, der sich sonst auf der alljährlichen Pressekonferenz seines Unternehmens mit kritischen Fragen zur Endlichkeit des Skitourismus auf der Südseite der Alpen konfrontiert sieht. Dass Wetterphänomene den Klimawandel nicht widerlegen, ist Konsens, aber unter dem Eindruck dieses Naturschauspiels erinnern wir uns an unsere Kindheit, als es im Winter manchmal schneefrei gab, weil kein Schulbus mehr fuhr und die Züge in Schneewehen stecken blieben.

Das erleben wir am nächsten Tag. Alle Zufahrten nach Arabba sind gesperrt, die Pässe geschlossen. Auf der Dolomitenstraße, der ersten Ferienstraße zur Erschließung Südtirols und des Trentino, auf der seit fast hundert Jahren Touristen nach Arabba und in die Dolomi­tentäler kommen, fährt heute kein Auto. Es ist total ruhig. Fußgänger stapfen über die Fahrbahn. Haus- und Hotelbesitzer beginnen mit Schneeschaufeln Wege zu räumen und Pfade Richtung Straße zu graben. Die Lifte haben ihren Betrieb eingestellt. Der Schneefall hält die Zeit an. Auch unser Bus kommt nicht durch. Wir bekommen einen Tag geschenkt, an dem wir nichts müssen: nicht arbeiten, nicht Ski fahren, nicht abreisen. Sanft mobil war gestern, eingeschneit ist heute.

Uta Linnert

www.arabba.it
www.dolomitisuperski.it

fairkehr 5/2023