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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 6/2017

Verkehrswende auf Norwegisch

Oslo hat ehrgeizige Ziele: Bis 2030 will Norwegens Hauptstadt so gut wie klimaneutral werden. Dazu hat die „Welthauptstadt der Elektromobilität” die Verkehrswende eingeläutet.

Ein schwarzes Elektroauto parkt in Oslo vor einer Ladestation und ist über ein Kabel mit der Station verbunden. im Hintergrund laufen Fußgänger über den Bürgersteig.
Oslo Bysykkel heißt das Fahrradleihsystem der norwegischen Hauptstadt. Am Hauptbahnhof und vielen weiteren Standorten können die Osloer ein „Bysykkel“ leihen.

Rushhour in Oslo. Im vornehmen Parkveien hinter dem Königsschloss staut sich der Verkehr. Fahren wirklich ein Drittel Elektroautos in Norwegens Hauptstadt? Wenn man aus Deutschland kommt, wo der Anteil der Stromer am Fahrzeugbestand bei 1,2 Promille liegt, ist das schwer vorstellbar. Ich zähle die vorbeifahrenden Verbrenner und E-Autos anhand der Kennzeichen: vollelektrische Fahrzeuge haben ein „EL“ oder „EK“ für „Elektrisk Kjøretøys“, norwegisch für Elektroauto. Und tatsächlich: Meine Zufallsstatistik stabilisiert sich schnell bei gut einem Drittel elektrischer Fahrzeuge. Und die restlichen zwei Drittel sind auch nicht nur reine Verbrenner, sondern häufig Hybridautos mit Elektro- und Verbrennungsmotor.

Dicke Luft trotz Lage am Fjord

Teslas, E-Golfs, i3s, Zoes oder Leafs sind in Oslo unübersehbar und das charakteristische leise Summen des Elektroantriebs beim Stadtbummel ist für geübte Ohren unüberhörbar. Die Stromer sind ein Segen für Fußgänger und die vielen Fahrradfahrer in der Stadt, die neben oder hinter einem solchen Auto unbeschwert „durchschnaufen“ können. Bessere Luft ist aber für alle 670 000 Einwohner der Hauptstadt ein Thema. Denn auch Oslo hat Probleme. „Obwohl die Stadt an einem Fjord liegt und rund 80 Prozent der Häuser elektrisch beheizt werden, haben wir im Winter zu hohe Schadstoffwerte“, berichtet Jon Stenslet, Projektmanager Elektrobusse bei Ruter AS, dem kommunalen Verkehrsdienstleister der Region Oslo-Akershus. Dort wohnen mehr als eine Million Menschen, ein Fünftel aller Norweger.

Bis 2020, so Stenslet, soll der ÖPNV fossil- und bis 2025 emissionsfrei werden. Das ist bei der Tunnelbane und der Trikk (U-Bahn und Straßenbahn) sowie den meisten Zügen der Norwegischen Staatsbahnen bereits der Fall. Denn Norwegens Strom ist grün und günstig, stammt fast komplett aus eigener Wasserkraft. Nur Fähren und Busse haben noch Dieselmotoren. Das soll sich ändern. Unter anderem mit bis zu 500 Elektrobussen. Stenslet: „Am 30. November starten wir einen E-Bus-Test mit drei Betreibern und drei unterschiedlichen Ladekonzepten. Danach folgen die Ausschreibungen.“ Und beim Schiffsverkehr laufen in Norwegen Pilotprojekte mit Hybrid- und Elektrofähren etwa am Sognefjord.

Blaue Leihfahrräder stehen an einer Leihstation vor dem Hauptbahnhof von Oslo.
Oslo Bysykkel heißt das Fahrradleihsystem der norwegischen Hauptstadt. Am Hauptbahnhof und vielen weiteren Standorten können die Osloer ein „Bysykkel“ leihen.

Für 61 Prozent aller Emissionen ist in Oslo der Verkehr verantwortlich, vor allem der Individualverkehr mit 39 Prozent. Es folgen Baufahrzeuge und Baumaschinen (30 Prozent) und der Schwer- und Leichtlastverkehr (15 bzw. 10 Prozent). Sie sollen auf vollelektrische, Hybridantriebe oder Antriebe mit Biogas oder Biokraftstoffen umgestellt werden. „Unser Ziel ist bis 2020 eine CO2-Reduktion um 50 Prozent, bis 2030 um 95 Prozent im Vergleich zu 1990“, erklärt Oslos grüne Vizebürgermeisterin Lan Marie Nguyen Berg.

Das Interesse der Norweger am elektrischen Fahren hat Geschichte. Von 1991 bis 2011 gab es drei kleine norwegische Firmen, die Elektroautos produzierten. Den „Think“ und den „Kewet Buddy“ sieht man noch heute auf Oslos Straßen. Und mit dem „Paxster“, einem elektrischen Postauslieferungsfahrzeug auf Quad-Basis, gibt es auch aktuell ein Elektrofahrzeug aus landeseigener Herstellung.

Vergünstigungen für E-Autos

Um die eigene elektromobile Produktion zu protegieren, wurden ab 1990 zahlreiche praktische Regelungen und vor allem finanzielle Vorteile für Elektro­mobile eingeführt. Beim Kauf werden weder die sonst übliche Kaufsteuer – bei Verbrennern im Schnitt 10 000 Euro – noch die Mehrwertsteuer von 25 Prozent fällig. Das macht viele E-Autos preiswerter als die Verbrenner-Varianten. Die Kfz-Steuer für betrieblich genutzte Elektro­autos ist um 50 Prozent ermäßigt. Stromer zahlen nur eine niedrige jährliche Straßensteuer und sind von der Maut befreit, die Oslo bereits 1990 eingeführt hat. Sie dürfen Fähren umsonst nutzen, in den Städten umsonst parken und auf Bus- und Taxispuren fahren, wenn sie mit mindestens zwei Personen besetzt sind. Für Deutschland lehnt der VCD diese Regelung jedoch ab: Sind zu viele E-Autos unterwegs, können diese die Busspuren verstopfen.

Ein Mann fährt in Oslo mit dem kleinen roten Post-Zustellfahrzeug „Paxster” zu einem Briefkasten und steckt einen Brief hinein.
Die Post kommt mit dem elektrischen Zulieferungsfahrzeug Paxster.

2009 startete die norwegische Regierung ein 7-Millionen-Euro-Programm zum Aufbau von 1 900 Ladepunkten. 2010 beschloss das Stortinget, das Parlament Norwegens, sämtliche finanziellen Privilegien für Elektroautos zu verlängern, bis 50 000 Fahrzeuge zugelassen sind. Diese Grenze ist mit derzeit 175 000 Stromern längst durchbrochen, die Förderung läuft weiter. „Automobilkonzerne wie in Deutschland, die die Elektromobilität ausbremsen, haben wir hier nicht“, erklärt Christina Bu, Generalsekretärin der 1995 gegründeten norwegischen Elektroautovereinigung Norsk Elbilforening.

Und jetzt geht es auch noch den Verbrennern an den Kragen. Laut Nationalem Transportplan 2018–2029 sollen ab 2025 nur noch emissionsfreie Pkw und Vans verkauft werden dürfen.

Wie das in der Praxis gehen soll, frage ich ungläubig Christina Bu, die enge Kontakte zur Politik pflegt. „Ganz einfach: Verbrenner werden über steuerliche Maßnahmen finanziell so unattraktiv, dass sie keiner mehr kauft“, lautet die lapidare Antwort. „Das wird klappen, ganz sicher. Schließlich waren sich im Parlament alle einig – von links bis rechts.“

Europas Grüne Hauptstadt

Und das wird auch nötig sein, denn die Stadt tritt auf der Stelle: Die Treibhausgasemissionen sind seit 1990 nicht gesunken, sondern um 25 Prozent gestiegen. Ursache: Mit seiner hohen Lebensqualität gehört Oslo zu den am stärksten wachsenden Städten Europas. Bis 2030 wird ein weiteres Bevölkerungswachstum um 30 Prozent erwartet. So nimmt auch der Verkehr weiter zu statt ab. Daher haben Stadtrat und Stadtverwaltung, beide seit 2015 rot-grün dominiert, Oslo die Verkehrswende verordnet. Die im Juni 2016 verabschiedete Klima- und Energiestrategie setzt in 16 Handlungsfeldern ambitionierte Ziele. Unter anderem sollen Radfahrer und Fußgänger mehr Verkehrsflächen erhalten. Bereits 2019 soll das Stadtzentrum autofrei werden. Das muss einfach klappen, denn 2019 erwartet die Stadt am Fjord extra viele Gäste: Sie ist dann ein Jahr lang „Europas Grüne Hauptstadt“.

Reinhard Siekemeier

fairkehr 5/2023