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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

VCD aktiv 6/2015

Info-Wüste ÖPNV

Zu wenige Informationen – und die Fahrgäste wenden sich ab von Bus und Bahn. Deutsche Verkehrsunternehmen haben da Nachholbedarf, hat ein VCD-Test ergeben.

Foto: Ina Echternach/www.iamina.deDamit Fahrgäste zu Bus und Bahn finden, müssen Verkehrsunternehmen ihnen mit ausreichend Infos den Weg weisen und das Leben ohne eigenes Auto so angenehm und leicht wie möglich machen.

Wir haben es irgendwie immer gewusst: Als Bus- und Bahnkunden bekommen wir oft nicht die Infos, die wir brauchen, um auch in unbekannten Städten entspannt von A nach B zu kommen. Nun hat der VCD  dieses Gefühl offiziell untermauert. Sein ÖPNV-Zugänglichkeitscheck kommt zu dem Ergebnis: Die Informationen an Haltestellen und in den Fahrzeugen sind nicht ausreichend. Das gilt für die Tarife genauso wie für den Linienverlauf oder die Umsteigemöglichkeiten. Zwar bieten Internetauftritte und Apps gute bis sehr gute Vorab-Infos an, doch danach wird es dünn. An den Stationen fehlen oftmals Liniennetz- und Umgebungspläne, in den Bussen und Bahnen gibt es zu wenige Durchsagen oder Anzeigen.

Mit unerfreulichen Folgen für die

Verkehrsunternehmen: „Besonders Menschen, die den Nahverkehr eher selten nutzen, stehen immer wieder vor bekannten Problemen“, sagt VCD-Nahverkehrsexperte Gregor Kolbe. „Was ist das richtige Ticket, wo muss ich umsteigen? Sehen sie sich mehrfach mit schwer lösbaren Problemen konfrontiert, fahren sie nicht mehr Bus und Bahn.“ Kolbe leitet das Projekt „Einfach einsteigen – Zugänglich-

keitscheck des ÖPNV“, das die sogenannten weichen Faktoren im Nahverkehr untersucht: also wie selbsterklärend Busse und Bahnen nutzbar sind. Kolbe und sein Team von Testerinnen und Testern bereisten im Frühjahr und Sommer die Großstädte Köln und Hannover, die Mittelstädte Bamberg und Lutherstadt Wittenberg und die Landkreise Meißen in Sachsen und Vogelsbergkreis in Hessen. Sie überprüften Haltestellen und Verbindungen (siehe auch fairkehr 3/15). Dabei hakten sie objektive und von jedem überprüfbare Kriterien auf einer Liste ab: Ist die Station ausreichend beleuchtet und ist sie überdacht? Wie nutzerfreundlich sind die Ticketautomaten? Ist der Bus barrierefrei? 

Die zweite große Schwäche, die die ÖPNV-Checker auftaten: Die Verkehrsverbünde und -unternehmen denken selten an Radfahrer oder Carsharer, also an die Verknüpfung der verschiedenen umweltfreundlichen Fortbewegungsarten. Dann suchen Fahrgäste vergebens nach Fahrradständern an den Haltestellen, wissen nicht, was die Radmitnahme in der U-Bahn kostet oder wo das nächste Carsharing-Auto oder Bikesharing-Fahrrad steht. Dabei sind diese Angebote oftmals sogar vorhanden, sie werden nur nicht beworben.

Beispiel Hannover. „Da gibt es mit ,Hannovermobil‘ ein Produkt, mit dem die ÖV-Kunden Rabatte auf Taxifahrten, aufs Carsharing und auf Mietwagen erhalten. Außerdem können sie im Bahnhof kostenlos ihr Gepäck einschließen“, sagt VCD-Mann Kolbe. Klingt richtig gut. Das Tragische: Nach Infos über diese Angebotsmöglichkeiten müsse man aktiv suchen, beispielsweise auf der Internetseite des Verkehrsverbunds. In der Stadt, an den Stationen, in den Fahrzeugen sehe man keine Werbung dafür.

„Die ÖV-Unternehmen sollten andere umweltfreundliche Verkehrsmittel nicht als Konkurrenz sehen, sondern als Angebote, die Bus und Bahn wunderbar ergänzen“, so Kolbe. Können Menschen einfach zwischen Fahrrad, Carsharing-Wagen und Straßenbahn wechseln, wird das Leben ohne eigenes Auto attraktiver  – und davon profitieren auch die Verkehrsunternehmen. Die neuen Sharing-Angebote seien eine große Chance für den ÖPNV, neue Stammkunden zu gewinnen, sagt Kolbe. „Kommunen, Verkehrsunternehmen und Sharing-Anbieter müssen hier enger zusammenarbeiten und besser kommunizieren.“ 

Lob, Tadel und Lösungen

Neben den Schwächen, die alle untersuchten Städte und Kreise teilen, stellten die ÖPNV-Checker auch Stärken fest. So überzeugte beispielsweise das Erscheinungsbild des ÖPNV in Köln, Hannover, im Kreis Meißen und im Vogelsbergkreis. Außerdem hoben die Tester die Barrierefreiheit des Nahverkehrs in Köln und Hannover hervor.

„Insgesamt aber überwiegt der Handlungsbedarf“, sagt VCD-Projektleiter Kolbe. Köln, Hannover, der Landkreis Meißen und der Vogelsbergkreis bekamen die Gesamtnote „befriedigend“ für die Nutzerfreundlichkeit ihres Bus- und Bahnangebots. Für Bamberg und Wittenberg reichte es insgesamt nur für ein Ausreichend.

Das VCD-Projektteam übermittelte die detaillierten Auswertungen, aufgeteilt in Stärken und Schwächen, an die Verkehrsunternehmen und die Kommunalverwaltungen und gab konkrete Handlungsempfehlungen. Diese Mischung aus Lob, Tadel und Lösungsvorschlägen stieß beim Vorstandsvorsitzenden der Kölner Verkehrs-Betriebe, Jürgen Fenske, auf Zustimmung. Er bedankte sich für die Zusammenarbeit und stellte im Gespräch mit dem „Kölner Stadtanzeiger“ fest, der VCD-Check zeige, dass die KVB beim Thema Kundenfreundlichkeit auf dem richtigen Weg seien. „Insofern spornt uns die Studie an, noch eine Schippe draufzulegen“, sagte Fenske.

Mit dem ÖPNV-Check des VCD gibt es nun ein Instrument mit objektiven Kriterien, das Kommunen, Verkehrsverbünde und -unternehmen, VCD-Gruppen vor Ort oder andere Umweltverbände einfach anwenden können. „Wir freuen uns, wenn Aktive den ÖPNV in weiteren Städten, Gemeinden und Landkreisen testen“, sagt Experte Gregor Kolbe. Den Test kann jeder auf der VCD-Website herunterladen. Projektleiter Kolbe hat nur eine Bitte: „Wir werden gern über die Ergebnisse informiert.“     

Kirsten Lange

Detaillierte Ergebnisse und Erhebungsmethode gibt es hier

fairkehr 5/2023