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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Reise 4/2017

Kanufahren für Anfänger

Mit Kajak und Kanadier die Lahn hinunter paddeln: Geringe Fließgeschwindigkeit, wenige Stromschnellen und kaum Motorboote machen den Fluss einsteiger- und familientauglich.

Zwei Kanufharer paddeln auf der Lahn in der Nähe des rheinland-pfälzischen Weinorts Obernhof.
Foto: Dominik Ketz/Rheinland-Pfalz TourismusDie Lahn in der Nähe des rheinland-pfälzischen Weinorts Obernhof.

Im engen Schleusenbecken stoßen Kanadier und Kajaks aus orangefarbigem, dunkelrotem und grünem Plastik immer wieder aneinander. Trotz Regen herrscht Partystimmung. Es riecht nach Schnaps, Schweiß und Fluss. In dieser Reihenfolge. Aus einem großen weißen Ruderboot mit etwa acht Leuten an Bord dröhnt Techno. Ein junger Mann mit kurzem blonden Haar sitzt am Bug. „Nicht so lahmarschig!“, ruft er zwei Freunden zu, die oben auf der Schleuse stehen und kräftig an Handkurbeln drehen. Sie öffnen die Klappen in den beiden mächtigen Flügeln des schwarzen Metalltors, um Wasser aus dem Becken zu lassen. Langsam sinkt der Pegel und nimmt die Boote mit nach unten. Der Teil der grauen Steinmauer, der sich eben noch unter Wasser befand, liegt jetzt frei und ist mit braunen Algen bewachsen. Als der Pegel im Staubecken und der Lahn nach einigen Minuten das gleiche Niveau erreicht hat, öffnen die freiwilligen Schleuser das Tor. Wir – zwei Frauen, ein Mann, alle in den Dreißigern und mit wenig Kanu-Erfahrung – paddeln kräftig los, um die anderen abzuhängen. Wir wollen den Fluss rauschen und die Vögel singen hören – und keine Partymusik.

Etwa vier Stunden zuvor:  Jonas Krus und Max Klein, beide  Kundenbetreuer beim Bootsverleiher Lahnkanu, fahren mit einem weißen VW-Bus auf dem Zeltplatz im hessischen Leun vor. Der Wagen zieht einen Bootsanhänger mit zwei neon-orangefarbenen Kanadiern und drei Kajaks in den gleichen Farben hinter sich her. Die beiden sportlichen jungen Männer heben die Boote vom Anhänger und legen sie auf der Wiese in der Nähe des Fluss­ufers ab. Wir haben einen Kanadier und ein Kajak gemietet. In zwei Tagen wollen wir von Leun bis ins etwa 40 Kilometer entfernte Runkel nahe Limburg paddeln.

Jonas zieht das Stechpaddel durch die Luft. Er demonstriert, wie man es richtig benutzt. Auf laminierten Bilderbögen zeigt er uns, wie man eine Handschleuse bedient, und erklärt uns die Verkehrsregeln auf dem Fluss.

Die Lahn ist eine Bundeswasserstraße. Daher gelten ähnliche Regeln wie im Straßenverkehr: Rechtsfahrgebot und  Fahrverbot ab 0,5 Promille. „Einmal sind drei Leute in Weilburg in die Schleuse gefallen und mussten gerettet werden, weil sie zu betrunken waren, um wieder in ihre Kanus zu klettern. Die hatten dann ein Strafverfahren wegen Trunkenheit im Schiffsverkehr am Hals“, erzählt Krus.

Eine Kajakfahrerin paddelt auf der Lahn bei Gräveneck in Hessen.
Foto: Benjamin KuehneAuf dem ruhigen Wasser der Lahn bleibt auch Zeit, mal links und rechts zu gucken, ohne dass man von der Strömung abgetrieben wird.

Zusätzlich zu den Booten bekommen wir Schwimmwesten, wasserdichte Packsäcke und Tonnen sowie eine Spritzdecke für das Kajak ausgehändigt. Nach der Tour wird der Anbieter die Boote und das Zubehör am Ausstiegspunkt wieder abholen. Wir verstauen Zelte, Isomatten, Schlafsäcke, Essen und Klamotten in den Kanus. Über eine Metalltreppe tragen wir die Boote die Böschung runter zum Fluss und hieven sie von einem kleinen Steg aus ins Wasser. Beim Einsteigen schwanken die Boote leicht. Um 12 Uhr können wir endlich ablegen.

Auf dem grünen Band

Die Lahn fließt hinter Leun durch ein Tal mit bewaldeten Hügeln auf beiden Seiten. Felder und Wiesen reichen bis dicht an den Fluss heran, sind aber auf den ersten Kilometern vom Wasser aus nicht zu sehen. Der Fluss hat sich in die Landschaft eingegraben und die Böschung ist dicht mit dunkelgrünen Sträuchern und Weiden bewachsen. Die B 49 verläuft ganz in der Nähe. Man kann die Straße zwar nicht sehen, hört sie aber im Hintergrund rauschen.

Die Lahn liegt wie ein glattes grünes Band vor uns. Unsere Kajakfahrerin im Team fährt voraus. Sie zieht die blauen Blätter des Doppelpaddels immer wieder abwechselnd links und rechts durch das Wasser. Ihr schmales Boot ist leicht, wendig und schnell. Unser Kanadier ist schwerer und bauchiger. Mit je einem Stechpaddel pro Seite, das wir immer wieder von oben ins Wasser stoßen und nach hinten ziehen, schieben wir das Boot zu zweit voran. Das kostet Kraft und wir kommen kaum hinter der Kajakfahrerin her. Sie muss immer wieder auf uns warten. Mangels Erfahrung ist unser Kanadier anfangs im Zickzackkurs unterwegs. Strömung und Wind treiben uns ein paarmal in das dichte Ufergestrüpp. Das Kajak ist eindeutig das sportlichere Boot. Der Kanadier hat dafür andere Vorteile: In das Boot passt mehr Gepäck, es ist kippsicherer und man könnte auch Kinder in der Mitte mitnehmen.

Die Kanus einfach irgendwo an einem Baum festmachen und an Land gehen dürfen wir nicht. Zu den Benimmregeln für Paddler gehört, dass wir Graureiher, Frösche, Bisamratten und Co., die im Schilf, in den Büschen und in kleinen Seerosenteichen am Ufer leben, möglichst wenig stören.

Nach neun Kilometern Fahrt legen wir am Bootssteg in Selters an, die erste Möglichkeit zur Pause. Neben einem einzelnen Haus mit Spitzdach steht ein alter beigefarbener Wohnwagen mit Vorzelt auf einem kleinen Plateau. Als es zu regnen beginnt, stellen wir uns im Vorzelt unter, essen unsere Butterbrote und beobachten, wie ein Boot nach dem anderen am Anleger festmacht. Erst landet eine Gruppe junger Männer mit Sow-

jet-Pelzmützen an, die auf Junggesellenabschied sind, dann mehrere Familien. Unter den Bäumen in der Nähe des Anlegers stehen inzwischen etwa 40 Leute. Als der Regen nachlässt, machen alle die Boote startklar und paddeln weiter.

Drei Kanufahrer machen eine Pause bei Arfurt in Hessen während ihrer Kanutour auf der Lahn.
Foto: Benjamin KuehneTag zwei: Die Laune ist gut, obwohl die schmalen Schultern schmerzen. Auch Drache Grisu ist dabei, der auf dem freien Sitz im Kanadier mitgefahren ist.

Die erste Schleuse – die mit dem Partyboot – erreichen wir kurz hinter Selters. Ab hier wird es deutlich ruhiger im Lahntal. Bundesstraße und Fluss trennen sich. Nur die Bahnstrecke, auf der gelegentlich mal ein Zug vorbeifährt, der Lahntalradweg und der Lahnhöhenweg für Wanderer begleiten jetzt noch den Fluss. Die Lahn hat auf unserer Route vier Wehre. Die kleinen Mauern stauen das Wasser, machen so den Fluss tiefer und damit schiffbar. Hinter den Wehren stürzt das Wasser über zweieinhalb Meter in die Tiefe. Daher sind die Staustufen mit Schleusen kombiniert, die die Boote hinauf- und hinunterheben.

Ab durch den Tunnel

In Weilburg mäandert die Lahn in einer großen Schleife um einen etwa 170 Meter hohen Bergsporn, auf dem das weiße barocke Schloss Weilburg und die Altstadt thronen. Hier haben Paddler die Wahl: Entweder sie umfahren den Berg in weitem Bogen oder sie kürzen ab – durch den 1847 erbauten und mit 195 Metern längsten noch befahrbaren Schiffstunnel Deutschlands.

Nach knapp zwei Stunden Pause in Weilburg sind wir hier die letzten Paddler auf der Lahn. Mit unseren beiden Kanus wagen wir uns in den finsteren Tunnel. An dessen Ende versperrt ein hohes Schleusentor unseren Weg, über das nur wenig Licht auf das dunkelgraue Wasser fällt. Es riecht modrig – etwas unheimlich ist es schon. Am Ende des Kanals klettern die Damen aus dem Kanadier über eine Leiter auf die Schleuse, während ich im Kajak sitzen bleibe und darauf achte, dass unsere Boote nicht abtreiben. Von unten sehe ich die beiden kräftig kurbeln. Da die Schleuse zwei Kammern hat, müssen sie sechs Schleusenklappen und drei Tore öffnen und wieder schließen. Es dauert 40 Minuten, bis der Höhenunterschied von 4,65 Metern ausgeglichen ist und wir unsere Fahrt fortsetzen können.

Ab Weilburg wird das Lahntal enger. Der Fluss trennt hier Taunus und Westerwald. Mischwald säumt die Ufer. Vereinzelt ragen  graue Felsblöcke und -wände fast senkrecht zwischen den Bäumen hervor.

Wir sind jetzt schon über acht Stunden unterwegs, fünf davon auf dem Wasser. Langsam lassen unsere Kräfte nach. Der Regen prasselt auf uns nieder, als eine weitere Schleuse den Fluss blockiert. Diesmal bin ich mit Schleusen dran. Minutenlang drehe ich an den silbernen, nasskalten Handrädern. Langsam öffnen sich die Schleusenklappen. Mit lautem Getöse schießt dass Wasser in das Becken, das sich langsam füllt. Als der Pegel im Becken den gleichen Stand wie der Fluss oberhalb der Schleuse erreicht hat, öffne ich einen Flügel des Tors, indem ich mich mit dem ganzen Körper gegen die Querstange einer große Kurbel stemme und im Kreis gehe. Nachdem die Boote in das Becken gefahren sind, schließe ich Tor und Klappen wieder. Beim Tor auf der anderen Seite des Beckens wiederhole ich den gesamten Vorgang. Nach anstrengenden zwanzig Minuten sitze ich wieder im Kajak.

Wir paddeln bis zum Campingplatz in Gräveneck, den wir um Viertel nach neun erreichen. Erschöpft tragen wir die Kanus eine steile, glitschige Holztreppe hoch und legen sie oberhalb der Böschung unter Fichten ab. Wir bauen die Zelte auf, essen noch ein paar Butterbrote und sinken in die Schlafsäcke.

Überholt von Justin Bieber

Am nächsten Morgen weckt uns die Sonne. Wir hängen unsere klammen Regenjacken zum Trocknen in die Bäume. Anziehen werden wir sie nicht mehr. Heute bleiben wir trocken. Dafür spüren wir den Muskelkater in Schultern und Armen. Wir sind alle drei sportlich, aber eben Läufer und Radfahrer mit untrainierten Oberkörpern. Wieder auf der Lahn macht sich die Erschöpfung auch bei der Geschwindigkeit bemerkbar. An Tag eins sind wir noch allen davongepaddelt. An Tag zwei überholen uns nun praktisch alle. Selbst 14-Jährige, die ihre Beine zum Gesang von Justin Bieber aus dem Kanu ins Wasser baumeln lassen.
Inzwischen steuern wir unsere Kanus routiniert. Paddeln haben wir schnell gelernt. Im Ufergestrüpp landen wir an Tag zwei nicht mehr.

Die Lahn ist ein ruhiger Fluss. Perfekt zum Üben. Selbst von uns Anfängern ist keiner ins Wasser gefallen. Ganz bis zu unserem Ziel nach Runkel schaffen wir es aber nicht. Um 17 Uhr geben wir die Kanus in Villmar ab, eine halbe Stunde vor Runkel. Trotz der Strapazen sind wir uns einig: Wir wollen wieder Kanu fahren. Dann werden wir aber kürzere Etappen planen.

Benjamin Kühne

Mehr Infos zum Urlaub im Lahntal: de-de.daslahntal.de
Kanu buchen: lahnkanu.com

Anreise

Fast jeder Ort an der Lahn ist mit dem Zug erreichbar. Der Rhein-Main-Verkehrsverbund bietet für den Teil des Lahntals zwischen Limburg und Marburg ein Kanuticket an. Mit dem Fahrschein kann man für 3,60 Euro vom Zielort der Tour zurück an den Ort fahren, von dem man losgepaddelt ist. Das Ticket kann man nur über den Touranbieter buchen. Kanus und Zubehör holt dieser davon unabhängig am Ausstieg ab. Gepäcktransport lässt sich beim Touranbieter dazubuchen.

Thomas Kettler: Kanu Kompakt Lahn. Thomas Kettler Verlag 2015, 106 Seiten, 9,95 Euro

fairkehr 5/2023