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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Politik 4/2017

Die Straße als Lebensraum

Eine Reform der Straßenverkehrsordnung ist mehr als überfällig, sagt der Bundesvorsitzende des VCD, Wasilis von Rauch.

Foto: Heiko119/iStockphoto.comDen Autos gehört immer noch der meiste Platz.

fairkehr:  Jan Werner, Verkehrsberater, und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des VCD, fordert, die StVO nur mit einem minimalen Eingriff zu reformieren. Was halten Sie davon?
Wasilis von Rauch:
Paragraf 45 StVO hindert Städte und Gemeinden daran, ein schlüssiges, gesamtstädtisches Verkehrskonzept einzuführen. Wenn der Paragraf mit einem Absatz so ergänzt wird, dass er den Kommunen freistellt, den Umweltverbund zu bevorzugen, flächendeckendes Tempo 30 einzuführen, den Autoverkehr einzudämmen und für mehr Verkehrssicherheit zu sorgen, hätten wir sehr viel erreicht.

Reicht Ihnen das?
Es ist ein wichtiger erster Schritt, den wir von der nächsten Regierung erwarten. Mittelfristig muss dann aber die gesamte StVO auf den Prüfstand. In ihrer jetzigen Form steht sie der Verkehrswende, für die der VCD sich seit seinem Bestehen einsetzt, im Wege. Sie ist vom Auto her gedacht und total überholt. Das möchten wir ändern. In vielen politischen Gesprächen mit Parlamentariern und Vertreterinnen und Vertretern aus den Ministerien der unterschiedlichen Fraktionen habe ich gehört, dass dort ein Umdenken stattfindet. Das Thema ist mehr als überfällig.

Wie wollen Sie vorgehen?
Wir als Verband bringen das Thema auf die politische Agenda. Wir werden versuchen, Mitstreiter ins Boot zu holen. Insbesondere der Deutsche Städtetag und der Deutsche Städte- und Gemeindebund sind aufgeschlossen. Wir wollen auch dafür sorgen, dass nach der Bundestagswahl der oder die neue Verkehrsministerin das auf dem Zettel hat. Wir wollen erreichen, dass das Thema, egal wie die Wahlen ausgehen, mit in die Koalitionsvereinbarungen aufgenommen wird.

Geht es dabei vorrangig um Städte?
Hier sind die Mängel am offensichtlichsten. Wenn es in Städten und Gemeinden eine politische Mehrheit dafür gibt, den Verkehr menschen- und umweltgerecht zu gestalten, dann stoßen diese schnell an ihre Grenzen. Die StVO blockiert die Demokratie. Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger einer Kommune kann nicht darüber entscheiden, wie das Verkehrssystem ihrer Stadt aussehen soll. Wir setzen uns für das Selbstbestimmungsrecht der Kommune ein. Wir finden, dass es gute Gründe gibt, dass die Stadt für ihre Bewohner Luftreinhaltung, Verkehrssicherheit und aktive Mobilität sicherstellt.

Was ist der Knackpunkt, wenn es ans Umschreiben der StVO geht?
Das Perfide ist, dass der Zustand, wie er heute ist, als unveränderlich angesehen wird. Man muss sich doch nur mal umsehen, wie viel Platz parkende Autos einnehmen dürfen. Die Hüter der StVO sehen darin eine gerechte, sozusagen neutrale Platzverteilung. Wird ein neuer Fahrradweg angelegt, gilt das gleich als Privilegierung des Radverkehrs. Der Nullpunkt des Koordinatensystems ist total verschoben.

Wo will der VCD hin?
Der VCD möchte eine Nutzungsordnung, die die Straße als Lebensraum definiert und nicht als Autofahrbahn. Hier sollen alle Verkehrsteilnehmenden gleichberechtigt sein. Die Straße soll Raum bieten für Kommunikation und kulturelles Leben. Das ist doch die Stärke der europäischen Stadt: Über Jahrhunderte war Straßenraum Platz sozialer Begegnung. Städte, die sich dort wieder hinbewegen, können nur gewinnen.

Interview: Uta Linnert

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fairkehr 5/2023