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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

VCD aktiv 4/2016

„Ich muss nicht jede S-Bahn-Muffe kennen”

Marion Laube engagiert sich seit 2015 im VCD-Bundesvorstand. Sie möchte den VCD medial wieder schlagkräftiger machen – gern auch mit frechen Botschaften.

Foto: Markus BachmannSowohl beruflich als auch im Ehrenamt Lobbyistin: Beim VCD kümmert sich Marion Laube vor allem um den Fuß- und Radverkehr sowie um neue Mobilitätskonzepte.
Foto: privatMarion Laube lebt in Berlin und fährt gern mit ihren Kindern Zug.

Frau Laube, sechs Jahre waren Sie Vorsitzende des VCD Nordost. Seit knapp einem Jahr gehören Sie dem VCD-Bundesvorstand an. Wohin möchten Sie den VCD lenken?

Ich möchte, dass wir medial wieder schlagkräftiger werden, dass wir es schaffen, klare Botschaften nach außen zu vermitteln und uns zu fokussieren. Von mir aus gern frecher und provokanter.

Was machen Sie beruflich?

Ebenfalls Lobbyarbeit – aber für Naturheilverfahren. Ich arbeite als direkte Mitarbeiterin der Geschäftsführung bei einem ärztlichen Dachverband und mache da Presse-, Öffentlichkeits- und Projektarbeit.

Wie kamen Sie zum VCD?

Ich habe 2005 ein Praktikum für mein Geografiestudium in der Bundesgeschäftsstelle gemacht. Anknüpfungspunkt ist auch mein Lebensstil, der schon immer autofrei war. Ich stamme aus Dresden und zur Wendezeit schwappte plötzlich dieses „Heiligtum Westauto“ zu uns rüber. Das war mir von Anfang an zuwider. Für mich war klar: Auto never ever. Auch als 1991 mein Sohn zur Welt kam und alle sagten: „Mit Familie, da brauchst du doch ein Auto“, habe ich das Gegenteil bewiesen. Mit meiner Fahrerlaubnis dürfte ich sogar Lkw fahren. Aber ein Auto habe ich noch nie besessen.

Wie sind Sie unterwegs?

Vor allem viel mit dem Fahrrad, gern auch zu Fuß und auf längeren Strecken mit Bus und Bahn.

Sie haben mittlerweile drei Kinder, zwei sind noch sehr jung, und verreisen mit dem Zug. Ihr Tipp für Familien, die das auch ausprobieren möchten?

Schicken Sie das Gepäck voraus, dann brauchen Sie sich beim Ein- und Aussteigen nur um die Kinder zu kümmern. Suchen Sie eine Region aus, in der Sie auch vor Ort ohne Auto gut zurechtkommen.

Im VCD-Bundesvorstand engagieren sich derzeit zwei Frauen und fünf Männer. Auf VCD-Landesverbandsebene sind auch nur wenige Frauen in den Vorständen. Wie motivieren Sie Ihre VCD-Kolleginnen, solche Positionen einzunehmen?

Mobilität ist ein Thema, bei dem wir Frauen jetzt gut punkten können. Einfach aus dem Grund, weil heute viele Veranstalter von Podiumsdiskussionen oder Gesprächsrunden darauf achten, dass da nicht nur Männer sitzen. Es klingt natürlich erst mal blöd, nur deshalb angefragt zu werden. Aber wenn die Eingeladene obendrein kompetent ist – und das sind viele Frauen im VCD wird das zum Selbstläufer, und sie wird oft angefragt. Das ist eine persönliche Bestätigung und es bringt den VCD stärker ins öffentliche Bewusstsein.

Braucht es viel Fachwissen für Ihre Aufgabe im VCD-Bundesvorstand?

Ja, aber das kann sich jede aneignen. Auch Männer kochen nur mit Wasser. Ich glaube, viele Frauen unterschätzen sich. Wer sich in einem Thema ein, zwei Jahre bewegt, hat immer einen Wissensvorsprung – auch gegenüber Politikern und Journalisten. Ich habe gelernt, dass es im Vorstand gar nicht so sehr darauf ankommt, ein wahnsinniges Spezialwissen zu besitzen und jede Muffe an einer S-Bahn zu kennen. Es geht vielmehr darum, Themen und Positionen des VCD in der Öffentlichkeit gut auf den Punkt zu bringen. Diese Kompetenz haben viele Frauen.

Bürgerbeteiligung ist Ihnen ein großes Anliegen. Was sind die größten Fehler, die eine Kommune oder der Staat machen kann, wenn er Bürgerbeteiligung organisiert?

Der größte Fehler ist, die Menschen erst zu informieren, wenn der Großteil der Entscheidungen bereits getroffen ist. Gerade auf kommunaler Ebene sollten die Leute von Anfang an mit eingebunden werden. Sie sollen mitbestimmen dürfen, schon bei der Frage: Brauchen wir den neuen Bahnhof, die Brücke, die Umgehungsstraße überhaupt? Und nicht erst, wenn das Planungsverfahren schon abgeschlossen ist und die Kommune nur noch die vorgeschriebene Beteiligung durchführt. Da liegen dann für vier Wochen die fertigen Pläne aus, die die Wenigsten lesen können, und das war’s. Ich fände es gut, wenn es im Vorfeld schon einen Meinungsbildungsprozess gäbe. Ich glaube, das könnte die Leute auch aus der Politikverdrossenheit bringen.

Wie setzt sich der VCD für mehr Bürgerbeteiligung ein?

Das wäre eher eine Aufgabe für die VCD-Gruppen vor Ort. Der VCD Nordost bietet Vernetzungstreffen für Engagierte im Bereich Mobilität an, auf denen zum Beispiel ein Bezirksbürgermeister berichtet, wie das vor Ort mit der Verwaltung funktioniert. Gleichzeitig können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer voneinander lernen und erfahren: Wie sind die anderen vorgegangen, was war erfolgreich, wer sind die Ansprechpartner in der Kommune, wo gab es Hürden. Diese Vernetzung und den Austausch zwischen Politik, Verwaltung und Bürgern finde ich unglaublich sinnvoll und wichtig. Das ist zwar keine Aufgabe für den Bundesverband, aber es wäre eine Idee, wie man den VCD auch in den regionalen Verbänden erneuern könnte: als Verband, der sich als Plattform versteht und dabei hilft, die Menschen in der Kommune, die sich für eine bessere Mobilität engagieren, zusammenzubringen.

Was halten Sie vom autonomem Fahren, dem Titelthema dieser fairkehr-Ausgabe?

Es ist ein Hype, bei dem noch gar nicht klar ist, wo es hingehen soll. Das Thema wird ja vor allem in drei Ländern verstärkt diskutiert: In USA, Deutschland und Japan – da, wo die großen Autobauer sitzen. Allein das zeigt mir, dass es mehr um Märkte und Geld als um die Mobilität von morgen geht. Die Autobauer wollen das System „Jedem sein eigenes Auto“ erhalten. Dabei löst das selbst fahrende Auto ja die heutigen Verkehrs- und Platzprobleme nur bedingt. Technisch finde ich autonome Fahrzeuge aber trotzdem spannend – vor allem im ÖPNV.

Wie sieht für Sie die Stadt von morgen aus?

Sie macht ein komfortables Vorankommen möglich zu Fuß, mit dem Rad und dem öffentlichen Verkehr. Es ist nicht mehr nötig, privat ein Auto zu besitzen. Die gibt es nur noch in Form von Carsharing oder Taxis. Die Straßen sind zurückgebaut auf das notwendige Mindestmaß. Niemand hat es weit bis zur nächsten Bus- oder Bahnhaltestelle, überall haben wir gute Wege und Abstellanlagen für Fahrräder. Und es macht Spaß und ist entspannend, auch mal eine Viertelstunde zu Fuß zu gehen, weil man sich nicht mehr gegenseitig anbrüllen muss. Wir sehen wieder viel mehr Kinder draußen, die sich ihre Räume allein erobern.

Interview: Valeska Zepp

fairkehr 5/2023