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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Politik 3/2017

Missing Link? Seilbahnen im ÖPNV

Seilbahnen transportieren bislang vor allem Touristen auf Berge. Geht es nach Herstellern und Stadtplanern, wird sich das ändern. Urbane Seilbahnen sollen künftig den ÖPNV ergänzen.

Foto: Volker Lannert, Bearbeitung: Denise GraetzDie Bonner Seilbahn könnte zukünftig Uniklinikum, Hindenburgplatz, UN-Campus und Telekomgelände verbinden – symbolisiert durch die Stützen (v. l. n. r.).

Marvin Mertens arbeitet als Arzt in der Uniklinik auf dem Bonner Venusberg. Bislang fuhr er die 10,5 Kilometer lange Strecke von seiner Wohnung in Bonn Ramersdorf zum Arbeitsplatz auf der anderen Rheinseite mit dem Auto. Da die Straßen oft verstopft waren, brauchte er von der Haustür bis zum Parkplatz auf dem Klinikgelände etwa 35 Minuten. Das änderte sich mit der Einweihung der Bonner Seilbahn im Jahr 2030. Jetzt fährt er mit seinem Fahrrad in fünf Minuten zur Talstation in der Nähe des Telekom-Geländes, stellt es in der überdachten Abstellanlage ab und steigt ohne lange Wartezeit in eine Gondel ein. Die Fahrt zum Klinikum dauert zwölf Minuten. Für Mertens halbiert sich nicht nur die Fahrtzeit. Er schont auch seine Nerven und kann während der Fahrt den Blick auf Stadt und Rhein genießen.

Einige Vorteile von Seilbahnen liegen auf der Hand: Sie können Hindernisse wie Flüsse überbrücken, werden spielend mit großen Höhenunterschieden fertig und brauchen wenig Platz. Städte können die Kabinenbahnen ohne großen Eingriff in den Straßenverkehr entlang vorhandener Achsen bauen. Die Gondeln schweben in dichter Folge in die Stationen ein, sodass die Wartezeit für die Fahrgäste gering ist.

Barrierefrei gondeln

Auch Menschen im Rollstuhl kommen gut in die Kabinen, die auf einer Ebene mit dem Boden der Stationen liegen. Eine elektrische Seilbahn bläst zudem keine Schadstoffe in die Stadtluft und ist deutlich leiser als Autos, Busse oder Straßenbahnen. Kein Wunder also, dass immer mehr Städte in Deutschland Seilbahnen planen oder bauen. In Berlin hat die Südtiroler Firma Leitner im April eine Seilbahn auf dem Gelände der Internationalen Gartenausstellung eröffnet. In Koblenz schweben Touristen mit einem Modell des österreichischen Seilbahnbauers Doppelmayr seit 2010 vom Deutschen Eck hinauf zur Festung Ehrenbreitstein. In Wuppertal will der Stadtrat am 10. Juli über den Bau einer Seilbahn entscheiden. In Bonn ist gerade die Machbarkeitsstudie fertig geworden.

An urbanen Seilbahnen scheiden sich die Geister. In Wuppertal haben sich gleich zwei Bürgerinitiativen gegründet: Pro Seilbahn Wuppertal und Seilbahnfreies Wuppertal. In beiden Initiativen engagieren sich Mitglieder des VCD-Regionalverbandes Bergisches Land. Menschen, die sich gemeinsam für lebenswerte Städte, gute Bedingungen für Radfahrer, einen besseren ÖPNV und weniger Autoverkehr einsetzen, macht die Seilbahn zu Gegnern.

Die Befürworter der Wuppertaler Seilbahn argumentieren mit der verkürzten Fahrtzeit von drei Minuten vom Hauptbahnhof zum Unicampus und neun Minuten zum Sportleistungszentrum am Küllenhahn. Unter den Wuppertaler Seilbahngegnern sind viele Menschen, die direkt an der geplanten Strecke wohnen. Sie haben vor allem Angst: dass ihre Privatsphäre gestört wird, weil die Fahrgäste aus den Gondeln in ihre Gärten und Fenster schauen könnten, dass die Schatten der Masten auf ihre Grundstücke fallen und dass dadurch der Wert ihrer Immobilien sinkt.

Laut Dokumenten, die dem VCD Bergisches Land vorliegen, planen die Wuppertaler Stadtwerke (WSW), den Busverkehr deutlich zu reduzieren, um die Seilbahn zu finanzieren. Die Linien entlang der Strecke wollen die WSW vom 20-Minuten-Takt zu einem 30-Minuten-Takt ausdünnen. Schnellbusse, die von Solingen oder Sudberg kommend über den Stadtteil Cronenberg in die Wuppertaler Innenstadt durchfahren, sollen künftig an der Seilbahnstation am Küllenhahn enden. Andere Linien wollen die Stadtwerke ganz einstellen. Laut der Nutzen-Kosten-Analyse, die dem VCD vorliegt, werden viele Fahrgäste, die bislang mit den Bussen gefahren sind, dann auf das Auto umsteigen. Auch die 17 000 Fahrgäste, mit denen die Planungsgesellschaft Verkehr aus Köln für die Seilbahn rechnet, werden vom Bus auf die Seilbahn umsteigen – nicht etwa vom Auto. „Mit dem Seilbahnprojekt wollen die Stadtwerke in erster Linie die Kosten des Busverkehrs reduzieren. Bei den Baukosten setzt die Stadt hingegen darauf, dass das Land Nordrhein-Westfalen einen Großteil übernimmt“, sagt Reiner Nießen, Schatzmeister des VCD-Regionalverbandes Bergisches Land. Wenn eine Seilbahn in das Tarifsystem und den Fahrplan des öffentlichen Verkehrs eingebunden ist und einen volkswirtschaftlichen Nutzen hat, fördert das Land NRW sie mit bis zu 90 Prozent der Baukosten. Das macht sie auch für klamme Kommunen erschwinglich. Die Betriebskosten würden die Wuppertaler Stadtwerke jedoch unterschätzen, so VCD-Mann Nießen. Nach langer interner Diskussion hat sich der Vorstand des VCD Bergisches Land entschlossen, sich gegen dieses Seilbahnprojekt zu positionieren. Stattdessen plädiert der Vorstand für Oberleitungsbusse. Diese fahren in der Nachbarstadt Solingen bereits seit 1952. „Seilbahnen ersetzen keinen guten ÖPNV mit Bussen und Straßenbahnen. Sie sind nicht für flächenhafte Verkehrsnetze geeignet, sondern für Punkt-zu-Punkt-Verbindungen“, sagt Philipp Kosok, Referent für Verkehrspolitik beim VCD-Bundesverband.

Umstrittene Energieeffizienz

Laut dem Hersteller Doppelmayr sind moderne Seilbahnen wie die in Koblenz in der Lage, Menschen mit 0,1 Kilowattstunden Strom – in etwa der Energie, die ein Föhn in fünf Minuten verbraucht – einen Kilometer weit zu transportieren. Damit ist der Energieverbrauch 5,6-mal geringer als bei einem Auto, geringfügig besser als bei Straßen- und U-Bahnen und liegt nur leicht über dem eines Oberleitungsbusses.

Foto: Skyglide Event Deutschland GmbHKoblenzer Seilbahn: 7 600 Fahrgäste pro Stunde und Richtung sind Weltrekord.

„Seilbahnen mit geringem Energieverbrauch pro Fahrgast sind Touristenbahnen. Während der Bundesgartenschau war die Seilbahn in Koblenz ein exzellentes Verkehrsmittel“, erklärt Prof. Dr. Marc Gennat. Er arbeitet als Dozent für Automatisierungstechnik an der Hochschule Niederrhein, sieht das Wuppertaler Seilbahnprojekt kritisch und ist VCD-Mitglied. „Allerdings sind Seilbahnen mit ÖPNV-Betriebszeiten regelmäßig schwach ausgelastet und benötigen deutlich mehr Energie pro Personenkilometer.“ Die Londoner Seilbahn benötige mit 0,7 Kilowattstunden etwa das Sechsfache der Energie einer Stadtbahn pro Personenkilometer. Im Vergleich zu Stadtbahn, Bus und Auto sei eine Seilbahn damit deutlich im Hintertreffen. „Der CO2-Ausstoß einer solchen Seilbahn liegt mit dem deutschen Strommix beim Fünffachen von Linienbussen“, so Gennat. „Selbst wenn die Fahrstrecke durch die Luftlinie der Seilbahn halbiert würde, wären Seilbahnen weder energieeffizient noch ökologisch.“

Wege kürzer machen

In Wuppertal würden die Studenten mit der Seilbahn vom Hauptbahnhof zur Universität nur 300 Meter Strecke gegenüber einer Fahrt mit Bus oder Auto sparen. Anders in Koblenz: Die örtliche Seilbahn verkürzt die Strecke vom Deutschen Eck zur Festung Ehrenbreitstein um Faktor neun. Mit dem Auto müssten Ausflügler über eine Brücke die Rheinseite wechseln und knapp acht Kilometer weit fahren. Mit der Seilbahn sind es nur 890 Meter. Pendlern bringt die Seilbahn jedoch wenig. Sie ist nicht an Bus und Bahn angeschlossen, nicht in das Tarifsystem des öffentlichen Verkehrs eingebunden und verbindet für Pendler eher uninteressante Ziele. Zudem sind die Fahrten teuer. Ein Ticket für Hin- und Rückfahrt kostet 9,90 Euro. Die Firma Skyglide Event Deutschland betreibt die Seilbahn eigenwirtschaftlich.

Bonner Seilbahn ist machbar

Die Stadt Bonn plant den Bau einer Seilbahn, die in Tarifsystem und Fahrplan des öffentlichen Verkehrs inte­griert ist. Dr. Thomas Baum, Gutachter von VSU – Beratende Ingenieure für Verkehr, Städtebau und Umweltschutz, stellte beim dritten Bürgerdialog am 16. Mai die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie vor. Er empfiehlt den Bau der Nordtrasse, die das Uniklinikum auf dem Venusberg über den neuen Bahnhaltepunkt UN-Campus und zwei weitere Zwischenhalte mit dem Telekom-Gelände auf der anderen Rheinseite verbinden würde. Er favorisiert eine Bahn mit einem Umlaufseil und Zehn-Personen-Gondeln, die im Takt von 30 Sekunden in die Station einschweben. Die Kapazität soll 12 000 Fahrgäste pro Tag betragen, die Geschwindigkeit knapp 22 Stundenkilometer. In den Abendstunden können Gondeln ausgehängt werden, um die Kapazität der Seilbahn an die Zahl der Fahrgäste anzupassen.

Bereits heute stehen Autos und Busse, die in der Hauptverkehrszeit auf den Bonner Venusberg fahren, im Stau. Baum geht davon aus, dass der Verkehr durch die Robert-Koch-Straße zum Uniklinikum von 12 500 Autofahrten pro Tag im Jahr 2013 auf 20 500 Fahrten in 2030 zunehmen wird, falls die Stadt keine Alternative schafft. Die Seilbahn könnte die Autofahrten – entsprechend hohe Parkgebühren auf dem Klinikgelände und in den umliegenden Wohnquartieren eingerechnet – um rund 20 Prozent reduzieren.

Die Klimabilanz der Bonner Seilbahn bewerten die Autoren der Machbarkeitsstudie positiv. Bei einer guten Auslastung – in Bonn soll diese über 50 Prozent liegen – werde die Seilbahn weniger Energie benötigen als Autos, die den Berg hoch fahren. Bei einem Pkw sind es 2,75 Kilowattstunden pro Person, bei der Seilbahn lediglich 1,35 Kilowattstunden.

Passagiere sollen auch Fahrräder in der Seilbahn mitnehmen können. In der Hauptverkehrszeit, wenn viele Pendler unterwegs sind, werden die Gondeln dafür aber zu voll sein. Daher plant die Stadt Bonn, an den Haltestellen überdachte Fahrradabstellanlagen einzurichten.

Die Baukosten der Seilbahn würden laut Machbarkeitsstudie mit 42 Millionen Euro moderat ausfallen. Die erwarteten Betriebskosten übersteigen die geschätzten Einnahmen um 790 000 Euro pro Jahr: Die Einnahmen würden

76 Prozent der Kosten decken. Das ist für öffentliche Verkehrsmittel ein guter Wert. Ob Pendler mit Zeitkarten die Seilbahn kostenlos nutzen dürfen, stehe noch nicht fest. Falls es einen Aufpreis geben werde, solle dieser aber moderat ausfallen, erklärte Helmut Haux, Abteilungsleiter für Verkehr im Bonner Stadtplanungsamt, im Gespräch mit fairkehr.

Die geeignete Nische finden

„Auch in Zukunft werden Seilbahnen nicht das dominierende Alltagsverkehrsmittel in unseren Städten werden“, sagt VCD-Referent Kosok. Es gibt aber eine Nische, in der sie den ÖPNV sinnvoll ergänzen können. Ergänzen heißt, dass Seilbahnen in keinem Fall ein Netz aus Bussen und Bahnen ersetzen können. Sie haben aber das Potenzial, Lücken zu schließen, wenn zwei Dinge zusammenkommen: Die geografischen Bedingungen müssen passen – wie in Koblenz, wo die Seilbahn die Strecke über den Rhein um Faktor neun verkürzt und den Bau eines teuren Tunnels oder einer Brücke überflüssig macht. Dazu muss die Seilbahn – wie in Bonn geplant – in das Tarifsystem und den Fahrplan für den öffentlichen Nahverkehr integriert werden und an den Stationen mit anderen Verkehrsmitteln wie Bus, Bahn und Fahrrad vernetzt sein.

Wenn diese Bedingungen zusammenkommen, können Seilbahnen die Lebensqualität in Städten heben. Denn sie sind leise, schnell, barrierefrei, vermeiden Autofahrten und der Ausblick ist himmlisch: Wenn die Bonner Seilbahn kommt, kann Marvin Mertens im Jahr 2030 nach einem anstrengenden Arbeitstag im Operationssaal mit der Seilbahn nach Hause schweben und den Blick auf das Siebengebirge genießen.

Benjamin Kühne

fairkehr 5/2023