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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Kolumne 6/2017

Niemals kein Tempolimit!

Zwei Kinder fahren ein Renn in Seifenkisten.
Atmendes Tempolimit: Spritsparwunder dürfen mit 122 km/h unterwegs sein.

Kein Tempolimit, niemals? Sie denken: Ist der jetzt völlig verrückt geworden, gestern noch Öko, heute schon Bleifuß?! Nein, natürlich nicht. Es handelt sich um eine Litotes, die rhetorische Stilfigur der doppelten Verneinung. Die ist nötig, um Ihre Aufmerksamkeit bei dem Schnarch-Thema ein bisschen auf 180 km/h zu beschleunigen. Wie viele wissen, bin ich der größte und fanatischste Befürworter von Geschwindigkeitsbegrenzungen überhaupt. Weltweit! Und ich rieche Blut.

Die Kumulation von Dieselgate, Klima und Elektrifizierung bietet für alle Tempolimit-Liebhaber ein echtes Fenster neuer Möglichkeiten. Nie war ein Tempolimit so sinnvoll wie heute. Allerdings muss, wie ich immer betone, die ordnungsrechtliche Ausgestaltung pfiffig und hinterhältig an die Gefühlswelt der Autodeutschen angedockt werden. Ich hatte vor Jahren einen Vorschlag gemacht, das Tempo auf der Autobahn an den CO2-Ausstoß des Wagens zu koppeln. Das ist das sogenannte atmende Tempolimit. Halte ich immer noch für eine gute Idee. Demnach bestimmt der CO2-Ausstoß das Tempo. Fossile Schleudern, also Autos mit über 100 Gramm CO2 pro Kilometer, sollten demnach nur 100 km/h fahren dürfen. Für groteske Modelle mit mehr als 150 Gramm CO2 gelten sogar beruhigende 90 km/h. Spritsparwunder, die nur 50 Gramm CO2 ausstoßen, dürfen dagegen flott mit bis zu 122 km/h unterwegs sein. Natürlich würden die CO2-Werte bei einer realistischen Messung auf der Straße ermittelt und hätten nix mit den Fantasiezahlen der Konzerne zu tun. Ergo: Überdimensionierte SUV-Fahrer würden eine Menge Geld sparen. Bei Tempo 89 km/h auf der Autobahn hinter den anderen Lastern sinkt bekanntlich der Spritverbrauch um mehr als 30 Prozent. Win-win!

Aktuell bedingt auch der Dieselskandal tempotechnische Innovationen: Wie wir wissen, ist einigen Autofabrikanten und ihren Kunden völlig schnurz, ob der Diesel wirklich sauber ist. Hauptsache, er brummt. Da ist nichts naheliegender als eine Kopplung der Einhaltung von Feinstaub- und Stickoxidwerten an die Geschwindigkeit. Deutlich ist nämlich, dass höhere Geschwindigkeiten auch höhere Emissionen bedeuten. Für Diesel, die im Realbetrieb die gesetzlichen Werte nicht einhalten, sollte das einen weiteren Abzug von 10 km/h bedeuten. Ein Passat Diesel mit 170 PS fährt sich natürlich viel entspannter mit 93 km/h maximal, das würde auch dem Gemütszustand vieler Vielfahrer entgegenkommen. Auf Landstraßen bietet sich für diese Fahrzeuggruppe 70 km/h an und in der Stadt 25 km/h. Das entspricht voll dem „polluter pays principle“: Der Verschmutzer bezahlt in einer Währung, die ihm wirklich am Herzen liegt, nämlich Geschwindigkeit. Schließlich könnte das atmende Tempolimit auch die Einführung von E-Autos beschleunigen. Wenn ich beispielsweise elektrisch mit flotten 117 km/h an den fossilen Audis vorbeirase, werden die sich fragen, ob sie nicht so schnell wie möglich dem Verbrennungsmotor Adieu sagen und Solarmodule aufs Hausdach schrauben. Elektroautos, die mit selbst gemachtem grünen Strom fahren, werden nämlich beim atmenden Tempolimit mit Höchstgeschwindigkeit belohnt: 133 km/h. Und an Raststellen umsonst Kaffee und Kuchen auf Staatskosten.

Komme mir niemand mit dem Vorwurf Ökodiktatur. Keiner wird gezwungen, eine idiotische Spritschleuder zu fahren, die Gesundheit und Klima gefährdet. Im Grunde entspräche das atmende Tempolimit dem liberalen Credo der FDP. Jeder Porschefahrer ist demnach seines eigenen Tempos, beziehungsweise Glückes Schmied. Liberaler geht’s nicht. Ich hoffe, mein konstruktiver Vorschlag kommt in Berlin nicht zu spät. Auf der Insel Jamaika liegt das Tempolimit auf Landstraßen übrigens bei 80 und auf der Autobahn bei 110 km/h. Kiffen hinterm Steuer ist auch dort verboten, und Biertrinken geht nicht, weil es auf Jamaika bekanntlich gar keins gibt.

Martin Unfried

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