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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

VCD aktiv 1/2017

Interview: „Stundentakt auch auf dem Land”

Matthias Kurzeck ist im VCD-Vorstand für Bahn und Infrastruktur zuständig. Er setzt sich dafür ein, dass der Deutschlandtakt für Bahn und Bus umgesetzt wird.

Foto: Markus BachmannVerkehrsplaner Matthias Kurzeck (47), seit 2008 im VCD-Bundesvorstand, engagiert sich unter anderem für Fahrgastrechte und für Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehr.

fairkehr: Mit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2016 hat die Deutsche Bahn ihre Nachtzüge mit Schlafwagen eingestellt. Was war Ihr schönstes Nachtzug-Erlebnis?
Matthias Kurzeck: Ich fahre häufig im Nachtzug, gern auch mit meiner Familie in den Urlaub. Von Hamburg nach München, Zürich oder Wien. Es war jedes Mal ein tolles Erlebnis, morgens entspannt nahe dem Urlaubsort aus dem Zug auszusteigen. Auch die Abende mit den Kindern im Speisewagen waren immer besonders. Die Atmosphäre ist einfach eine andere als tagsüber.

Wird sich der VCD auch in Zukunft dafür einsetzen, dass es in Deutschland ein umfassendes Nachtzugangebot gibt?
Der Nachtzug ist nicht das wichtigste Element im Fernverkehr, aber für viele Probleme bei der Bahnpolitik ein gutes Beispiel: Neue Eisenbahnwagen halten 30 Jahre. So lange muss ein Bahnunternehmen im Voraus kalkulieren. Wenn ein wichtiger Kostenfaktor wie die Entwicklung der Trassenpreise – die Nutzungsgebühr für das Schienennetz – nicht absehbar ist, geht das nicht. Viele Reisende fahren nur eine Strecke mit dem Schlafwagen und die andere tagsüber. Nachtzug und Tageszüge ergänzen sich so. Es ist deshalb auch wichtig, dass es tagsüber zeitlich flexible Fahrtmöglichkeiten gibt. Der bundesweite Taktfahrplan, der Deutschlandtakt, ist mit kurzen Umsteigezeiten die Grundlage.

Sie sind seit 2008 im VCD-Bundesvorstand und gehen in Ihre fünfte Amtszeit. Was motiviert Sie weiter zu machen?
Ich finde es spannend, die Phase des Umbruchs und der Neuaufstellung mitzugestalten, in der wir uns gerade befinden. Nebenbei habe ich jetzt die längste Erfahrung im Vorstand und möchte so für Kontinuität sorgen.

Was wollen Sie in der kommenden Amtszeit erreichen?
Ich möchte mit dem VCD die Verkehrswende voranbringen – nicht nur die Energiewende im Verkehr. Autos blockieren die Städte durch Stau und viele Parkplätze. Diese Probleme lösen wir nicht mit Elektroautos. Das schaffen wir nur mit guten Alternativen. Auch außerhalb der Großstädte muss sich etwas ändern: Es reicht nicht, die großen Zentren zu verbinden. Wir müssen den Bahnanschluss und effiziente Busverkehre als Zubringer in der Region sicherstellen. Es gibt ganz viele Hauptachsen, auf denen ein Busverkehr im Stundentakt preiswert organisiert werden kann.

Wie ist öffentlicher Verkehr im Stundentakt auf dem Land realisierbar?
Man hat für den Schülerverkehr ohnehin die großen Busse. Die sind also schon bezahlt. Auch Busfahrer, die nur morgens und mittags zwei Stunden arbeiten wollen, gibt es kaum. Hier sind Synergien zwischen Schüler- und Linienverkehr zu nutzen. Der sogenannte ländliche Raum in Deutschland hat selten weniger als 150 Einwohner pro Quadratkilometer. Und auch bei dünner besiedelten Räumen lassen sich immer noch Hauptachsen ausmachen, auf denen sich die Orte mit 1000, 2000 Einwohnern auf Buslinien ohne große Umwege an ein regionales Zentrum anschließen lassen. In meinem Job als Verkehrsplaner habe ich so in vielen Landkreisen Hauptnetze mit Stundentakt organisiert. Das reicht schon für eine gute Nachfrage. Abgelegene Dörfer werden mit Anrufsammeltaxis angeschlossen, in Zukunft vielleicht auch mit selbstfahrenden Autos.

Sie sind im Vorstand der European Passengers’ Federation. Sind Fahrgastrechte auch ein Teil Ihrer Vorstandsarbeit beim VCD?
Wir müssen dafür sorgen, dass auf EU-Ebene die Fluggastrechte nicht weiter aufgeweicht werden. Bei der Bahn muss es einfacher werden, bei einer Verspätung eine Entschädigung zu bekommen. Viele Bahnunternehmen versuchen, durch Aufteilung der Fahrkarten die durchgängige Reisekette zu unterbrechen und so die Verantwortung für verpasste Anschlüsse abzugeben. Aktuell gelten die Flexpreise zum Normalpreis plötzlich nur noch an einem bestimmten Tag. Es gibt für den VCD noch viel zu tun.

Sie sind Verkehrsplaner, inwiefern fließt Ihre Erfahrung in die Vorstandsarbeit ein?
Ich plane beispielsweise Bahnhofsvorplätze mit. Dabei müssen alle gut zum Zug kommen, egal ob sie mit dem ÖPNV, dem Auto, dem Fahrrad, zu Fuß, mit Kinderwagen oder im Rollstuhl unterwegs sind. Dieses Wissen über die Herausforderungen der Verkehrsplanung kann ich in die Vorstandsarbeit einbringen.

Was tun Sie persönlich für die Mitgliederwerbung?
Ich habe zum Beispiel beim Zugfahren immer eine fairkehr dabei, die ich weitergebe, wenn ich am VCD interessierte Mitreisende treffe.

In der aktuellen fairkehr geht es in der Reise um nachhaltige, grüne Städte. Wie sieht für Sie eine grüne Stadt aus?
Ganz banal: viele Grünflächen und Bäume, und die Alltagswege sind kurz. An meinem Wohnort Buchholz ist das ganz gut gelöst: Neue Supermärkte wurden an drei Ausfallstraßen und im Stadtzentrum gebaut. So sind sie zu Fuß und mit dem Fahrrad aus den Wohngebieten gut zu erreichen. Für die 40000 Einwohner gibt es einen Stadtbus im 30-Minuten-Takt. Für die Zukunft braucht es eine Vision. Kleine Schritte – beispielsweise jedes Jahr ein Prozent weniger Parkplätze – können schon ausreichen. Gleichzeitig brauchen wir Carsharing-Stellplätze, sichere Fahrradabstellplätze, Stadtbusse im dichten Takt, in größeren Städten eine Stadtbahn. In letzter Zeit sind neue Stadtbahnprojekte sicher auch deshalb gescheitert, weil in zu großen Netzen gedacht wurde. Man sollte überschaubar starten – beispielsweise mit wenigen Fahrzeugen und einer Linie entlang einer Hauptachse. Die Forderung nach Erweiterungen stellen die Fahrgäste später von ganz allein. Da kann der VCD perfekt unterstützen.

Interview: Benjamin Kühne

Die Gesichter des VCD

fairkehr gibt dem VCD ein Gesicht: Auch 2017 sprechen wir in jeder Ausgabe mit einem Mitglied des VCD-Bundesvorstandes. Vier Frauen und drei Männer engagieren sich dort derzeit ehrenamtlich für umweltfreundliche Mobilität. Sie gestalten die Ausrichtung des VCD und repräsentieren diesen durch Lobbyarbeit gegenüber der Politik.

fairkehr 5/2023