Reise 4/2004ParisBummeln durch Chinatown und die Arabische Welt
Langsam und fliessend wie in Zeitlupe bewegen sich fünfzehn Paar Arme und Beine zu chinesischer Meditationsmusik. Die sphärischen Klänge kommen aus einem Ghettoblaster. Der steht auf einem betonierten Platz im 13. Arrondissement von Paris, umrahmt von tristen Hochhäusern. Paris hat das größte chinesische Viertel Europas. Hier leben über 200000 Asiaten. Es ist zehn Uhr morgens. Die Musik verstummt. Die Frühsportler unterhalten sich noch ein wenig in einem Sprachgemisch aus Französisch und Chinesisch. Dann gehen sie in alle Richtungen auseinander. Tai Chi-Meister Chen Seng bleibt noch. Er erwartet seine Schüler zum Meditationsunterricht. „1975 bin ich zum Arbeiten nach Paris gekommen. Seitdem mache ich jeden Morgen mit Freunden und Nachbarn meine Übungen. Jeder, der Lust hat, kann mitmachen“, erzählt der 70-Jährige.
Grau, funktional und ein bisschen schmutzig – Paris-Chinatown ist unspektakulär. Es ist ein Arbeiterviertel wie jedes andere. Sehenswürdigkeiten hat es keine abbekommen, es dient allein zum Wohnen und Leben. „Wer sich nach Chinatown verirrt, möchte entweder jemanden besuchen, in einem der 150 asiatischen Restaurants essen oder aber bei ‘Tang-frères’ einkaufen“, berichtet Elodie, eine junge Pariserin, die fürs Tourismusbüro arbeitet. Die Brüder Tang betreiben den ältesten und größten asiatischen Supermarkt in Paris. Er befindet sich auf der Innenfläche eines Hochhäusercarrées, in der Nähe der Metrostation Porte d’Ivry. Neben dem Markt stehen ein paar Buden: die typisch französische Bäckerei direkt neben der chinesischen Garküche. Auf dem Innenhof tummeln sich fast ausschließlich chinesische Männer. Es riecht nach Gewürzen, frischem Brot und Zigarren. Wer den Markt betritt, muss durch schwere Plastikvorhänge gehen, die die Kälte drinnen halten sollen. In schlichten hohen Regalen liegen sämtliche Zutaten, die in chinesischen Kochbüchern verlangt werden und nach denen man im Asia-Laden um die Ecke oft vergeblich sucht. In den Kühlregalen türmen sich Plastikschachteln mit neonfarbenen, glibberigen Lebensmitteln. An den Obst- und Gemüseständen finden sich fast nur exotisch-unbekannte Sorten und an der Fischtheke liegt silbrig glänzendes Meergetier auf Eis.
Ganz in der Nähe von „Tang-frères“ befindet sich einer der drei buddhistischen Tempel von Paris-Chinatown. Versteckt im Labyrinth einer Einkaufspassage stößt man eher zufällig auf ihn. Den Eingang erkennt man an einem Berg von Schuhen. Hier herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Die Ankommenden streifen eilig die Schuhe ab, bevor sie den Tempel betreten. Sie zünden ein Räucherstäbchen an und knien auf einem der gelben Plastikkissen vor einer goldenen Buddha-Figur nieder. Die Lippen bewegen sich stumm, immer wieder beugen sie den Oberkörber nach vorn. Zwei Minuten später sind sie wieder in den Schuhen und auf dem Weg zurück zur Arbeit oder zum Einkaufen. Tausendundeine NachtViel pompöser als die chinesische ist die arabische Welt in Paris vertreten. „Für den Bau der Moschee haben die religiösen Institutionen der arabischen Länder ihre besten Arbeiter und Materialien geschickt“, erzählt Elodie. Alles ist mit geschnitzten Edelhölzern, Marmor und Jade verziert. Zur Moschee gehören außer dem Gebetsort, eine Schule, der Hammam – ein traditionelles Badehaus – Gärten und ein Teehaus. „Es gibt nichts Schöneres als nach einem anstrengenden Arbeitstag ein paar Stunden im orientalischen Bad zu entspannen“, schwärmt Elodie. Wer nicht so viel Zeit hat, sollte wenigstens das Teehaus besuchen. Die Lampen, Decken, Böden und Wände sehen aus wie aus Tausendundeine Nacht. Auf den Mosaiktischen stehen bunte Gläser mit dampfendem Pfefferminztee. Im Teehaus sitzen Studenten über ihren Büchern, Geschäftsleute beim Meeting und in den ruhigeren Nischen lassen Liebespaare ihren Tee kalt werden. Auch das „Institut du monde Arabe“ an der Seine, ganz in der Nähe von Notre Dame, möchte den Menschen die orientalische Welt näher bringen. Die 22 Staaten der Arabischen Liga finanzierten gemeinsam den Bau des Instituts. Es versteht sich als Forum für den Dialog zwischen der arabischen und der westlichen Gesellschaft. Das Gebäude hat der Architekt Jean Nouvel in den 80er Jahren aus Glas, Aluminium und Beton erbaut – eine Verschmelzung von arabischer Kunst und westlichem Baustil. Die typisch maurischen Ornamente in den Fenstern der Südseite bestehen aus vielen kleinen Blenden, die wie bei einem Fotoapparat funktionieren. Jede Stunde passen sich die Blenden automatisch dem Licht an und regeln so die Helligkeit im Gebäude. Die Nordseite des Instituts ist der Seine zugewandt und widmet sich der Stadt: In die riesige Glasfront sind die Häuserfassaden vom gegenüberliegenden Ufer so eingraviert, als spiegelten sie sich im Glas. „Im Arabischen Institut finden regelmäßig Seminare, Vorträge, Kinoabende und Ausstellungen statt. Aber viele Besucher kommen auch einfach zum Kaffee trinken oder zum Lesen hierher“, erklärt Elodie. Über 100000 Bücher über die arabische Welt sind in einem eigenen Bücherturm im Inneren des Instituts untergebracht – eine Sammlung, die einzigartig in Europa ist. Eine riesige beleuchtete Karte im Eingangsbereich zeigt die Länder, die zur Arabischen Liga gehören. Gläserne Aufzüge bringen die Besucher bis zum Restaurant auf der großen Dachterrasse. Von hier aus schweift der Blick, bei einem Mokka, über die Seine hinüber zu Notre Dame und all den anderen Sehenswürdigkeiten des westlichen Paris. Valeska Zepp
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