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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Politik 5/2023

Sportgroßveranstaltungen

Rekord für Nachhaltigkeit

Sie sollen die nachhaltigsten aller Zeiten werden: die Olympischen Spiele in Paris und die Fußball-Europameisterschaft der Männer in Deutschland. Was ist dran?

Visualisierung eines Beachvolleyballstadions mit voll besetzten zuschauertribünen vor dem Eiffelturm
Paris 2024Ein Fest für die ganze Stadt sollen die Olympischen Spiele 2024 in Paris werden. Darum entstehen an vielen Orten temporäre Arenen, zum Beispiel ein Beachvolleyballstadion vor dem Eiffelturm oder ein Reitparcours im Park von Schloss Versailles.

Einmal bei den Olympischen Spielen dabei sein – und vielleicht sogar ganz oben auf dem Treppchen stehen – ist ein Traum für viele professionelle Sportler*innen. Doch aus dem olympischen Traum wird unter klimaschutztechnischen Gesichtspunkten eher ein Albtraum, unter anderem wegen neu gebauter Wettkampfstätten und der Verpflegung und Mobilität von Zehntausenden Athlet*innen und Gästen. Die Olympischen Sommerspiele 2016 in Rio verursachten 3,6 Millionen Tonnen CO2.

Bei den nächsten Olympischen Sommerspielen, die von Juli bis August 2024 in Paris stattfinden, soll das alles anders werden. „Nur“ 1,58 Millionen Tonnen CO2 sollen die Spiele verursachen, die dann auch noch durch Ausgleichszahlungen kompensiert werden sollen. Um diese drastische Reduktion zu erreichen, setzen die Organisator*innen unter anderem darauf, fast keine neuen Gebäude zu bauen. 95 Prozent der Spielstätten gibt es entweder bereits, oder sie werden aus möglichst nachhaltigen Materialien temporär auf- und nach den Spielen wieder abgebaut. Lediglich ein Wassersportzentrum sowie das Olympische und das Paralympische Dorf lassen die Veranstalter neu bauen – die Athletenunterkünfte sollen nach den Wettkämpfen als Ökodorf mit günstigem Wohnraum allen Pariser*innen zu gute kommen.

Alle Wettkampfstätten sollen komplett mit Ökostrom betrieben werden und sind außerdem gut an den öffentlichen Verkehr angebunden, insbesondere an die Metro in Paris beziehungsweise an die Regionalzüge für die Arenen außerhalb der Stadt. Fans können an den Wettkampftagen, für die sie Tickets haben, den öffentlichen Nahverkehr kostenlos nutzen. Verkehrsberuhigte Zonen und eine gute Fahrradinfrastruktur laden darüber hinaus dazu ein, das Auto stehen zu lassen.

Trinkbrunnen, Pfandsysteme für Becher und weitere Maßnahmen sorgen dafür, den Einsatz von Einwegplastik um die Hälfte zu reduzieren. Und auch bei der Verpflegung versuchen die Veranstalter, die Emissionen möglichst gering zu halten: mit lokalen, saisonalen Produkten und kohlenstoffarmen Gerichten, die oft gar kein oder nur wenig Fleisch enthalten.

Ob all diese Maßnahmen gut umgesetzt werden und am Ende tatsächlich zu den „nachhaltigsten Spielen aller Zeit“ führen, bleibt abzuwarten. Und es bleiben auch Fragezeichen: So probt die Stadt aktuell den Einsatz von Flugdrohnen, die auf festgelegten Routen immer zwei Passagiere – einen Piloten oder eine Pilotin und einen Gast – transportieren können. Und neben den Segelwettbewerben, die in Marseille an der Südküste Frankreichs stattfinden, hat man auch die Surfwettbewerbe weit weg von Paris verlegt: nach Tahiti.

Den Ball ins Rollen bringen

Zeitgleich zu Olympia in Paris findet nächsten Sommer eine weitere Sportgroßveranstaltung statt: die Fußball­europameisterschaft der Männer, die am 14. Juni in München startet. Und auch dieses Event soll das nachhaltigste aller Zeiten werden, zumindest, wenn man der UEFA, dem DFB und der Bundesregierung Glauben schenkt.  

Diese haben ebenfalls ein gemeinsames Verständnis über eine nachhaltige EM veröffentlicht. Darin wird unter anderem die Absicht erklärt, mit dem Turnier neue Nachhaltigkeitsmaßstäbe zu setzen. Das gesellschaftliche Zusammenleben solle gestärkt und das Ansehen Deutschlands als Ausrichterland gestärkt werden. Als konkrete Maßnahme bestehe beispielsweise das Ziel, alle zehn Stadien zu 100 Prozent mit erneuerbarer Energie zu versorgen. Lebensmittelverschwendung solle weitestgehend reduziert werden.  

Über diese Absichtserklärungen hinaus finden sich in dieser und in anderen offiziellen Stellungnahmen zur EM wenig konkrete, dafür aber reichlich große Worte. Die EM werde die nachhaltigste aller Zeiten, die Stadt Köln die inklusivste Host City. Solche Aussagen klingen gut – und sie sind nicht messbar, was sie für die Veranstalter*innen noch attraktiver macht. In Zeiten von Greenwashing macht das hellhörig.

Martin Cames vom Öko-Institut ist skeptisch. „Ich halte das für einen Marketingclaim. Es kann letztendlich keiner verifizieren oder falsifizieren, da Nachhaltigkeit nicht wissenschaftlich gemessen werden kann. Ich stehe solchen Aussagen erst mal kritisch gegenüber, egal wer sie tätigt.“  

Cames war an der Machbarkeitsstudie für eine „klimaneutrale“ EM beteiligt. Beauftragt wurde das Öko-Institut dafür vom Bundesumweltministerium (BMUV) in Kooperation mit der EURO 2024 GmbH. Der 2022 veröffentlichte Bericht enthält eine Vorab-Klimabilanz für das Turnier. Fazit: Der Wettbewerb wird ohne Vermeidungsmaßnahmen voraussichtlich 490 000 Tonnen CO2-Äquivalent verursachen. Die Berechnungen beruhen auf Daten früherer Europameisterschaften und Events ähnlicher Größenordnung.  

Die meisten Emissionen verursacht mit 350 000 Tonnen Co2-Äquivalent der Verkehr. Maßnahmen im Verkehrsbereich sind also die wichtigste Stellschraube, um die EM 2024 klimaschonend zu gestalten. Das Öko-Institut nennt zahlreiche Vermeidungsoptionen sowie die für die Umsetzung verantwortlichen Stellen. 

Drei Männer stehen neben einem Pokal auf Kunstrasen vor einem Zugwaggon.
Deutsch Bahn AG/Oliver LangEM-Botschafter Philipp Lahm, Deutsche-Bahn-Chef Richard Lutz und Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) gaben die Partnerschaft der DB mit der EURO 2024 bekannt.

Engagement vor Ort?

Die UEFA hat die zehn Host Cities, in denen die Spiele stattfinden, in Zonen eingeteilt. Indem jede Gruppe ihre Spiele innerhalb einer Zone austrägt, sollen Reise-Emissionen vermieden werden. Und auch die Host Cities will die UEFA in die Verantwortung nehmen, denn vor Ort verursacht die Pkw-Anreise die höchsten Emissionen. Die Studie des Öko-Instituts empfiehlt deshalb vor allem Push-Maßnahmen im Parkraum-Management, zum Beispiel eine Erhöhung der Parkgebühren an Spieltagen, eine dauerhafte Umwidmung von Parkplatzflächen zugunsten von Fahrradparkplätzen und konsequente Parkverbote im weiten Umfeld der Sportstätten.  

Doch davon ist in den Host Cities bisher wenig zu spüren. Konkrete Informationen zu den Planungen sind noch nicht zu finden. Die Stadt Gelsenkirchen erklärt auf Anfrage, die Förderung einer umweltschonenden Anreise zur Fanzone und zum Stadion sei ein besonderes Anliegen. Konkret sei geplant, eine Haltestelle in der Nähe des Stadions barrierefrei umzubauen und am Stadion gesicherte Fahrradabstellanlagen und Leihräder zur Verfügung zu stellen. In Köln würden die Fanzonen so errichtet, dass sie vom Stadtzentrum innerhalb einer Viertelstunde über ein verkehrsbefreites Straßen- und Wegenetz fußläufig erreichbar seien, so die Pressestelle.  

Es ist wenig überraschend, dass die Host Cities keine Stellung zu den empfohlenen Push-Maßnahmen beziehen, sondern sich auf die gut klingenden Pull-Maßnahmen fokussieren. Parkplatzstreichungen passen nicht in das Bild von einer EM, die zwar nachhaltig ist, aber gleichzeitig auch ein Riesenspektakel, bei dem niemand auf Spaß verzichten muss.  

Der größte Emittent ist jedoch nicht die Mobilität vor Ort, sondern mit überwältigenden 60 Prozent die Reise der Teams und Fans nach und von Deutschland. Die meisten Emissionen verursachen dabei Flüge. Daher empfiehlt das Öko-Institut in seiner Studie mehrere Maßnahmen, um den Flugverkehr zu reduzieren, zum Beispiel, dass sich die Nationalteams als Vorbilder verpflichten, auf Flugreisen zu verzichten. Immerhin hat Deutschland für ein europaweites Turnier günstige Ausgangsbedingungen: Durch seine Lage in Mitteleuropa ist es von vielen Ländern aus klimaschonend mit dem Zug zu erreichen und verfügt über eine gut ausgebaute Verkehrs- und Stadieninfrastruktur.  

25 Euro pro Tonne CO2

Die UEFA scheint die nachhaltige Fernverkehrsmobilität auf der nationalen Ebene zu berücksichtigen, offizielle Partnerin der EURO 2024 ist die Deutsche Bahn. Das allein ist nicht direkt Grund zum Jubeln, im Profifußball jedoch auch nicht selbstverständlich – Sponsorings durch Airlines und Automarken sind hier schließlich an der Tagesordnung.  

Immerhin planen DB und ÖPNV-Verbünde konkrete Anreize während der EM: Wer ein Ticket für ein Spiel hat, kann den Nahverkehr am selben und am Folgetag kostenlos nutzen, im Fernverkehr gibt es Ermäßigungen. Die EURO 24 GmbH und die DB verhandelten auch über Sonderzüge, die zum Turnier zur Verfügung gestellt werden, so Martin Cames vom Öko-Institut. Für ihn sind die Verhandlungen zwischen der EURO 24 GmbH und der DB ein Schritt in die richtige Richtung.

Ähnlich wie bei den Olympischen Spielen sollen auch bei der Europameisterschaft die unvermeidbaren Emissionen adressiert werden. Das Öko-Institut schlägt dafür das Konzept der Klimaverantwortung vor. Klimaneutralität sei heutzutage technisch noch nicht erreichbar, die Bezeichnung daher irreführend. Außerdem bestehe bei „klimaneutralen“ Sportgroßveranstaltungen die Gefahr, dass durch den Begriff suggeriert würde, jede*r Einzelne müsse sich nicht mehr klimaschonend verhalten, so Cames. Klimaverantwortung hingegen impliziere ein bewusstes Verhalten, das auf Klimaneutralität hinwirke. Laut Cames plant die EURO 24 GmbH eine Abgabe von 25 Euro pro Tonne CO2. Die Abgaben werden in einen Fonds eingezahlt, welcher CO2-Minderungen in deutschen Sportvereinen anstelle von Klimakompensationsprojekten im Ausland finanziert.

Wie nachhaltig die EM 2024 tatsächlich abschneidet, bleibt abzuwarten, denn es ist noch unklar, welche der empfohlenen Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden oder wie viel am Ende tatsächlich emittiert wird. „Ich sehe durchaus einen Versuch, den öffentlichen Ansprüchen gerecht zu werden und dieses Thema zu adressieren. Das heißt nicht, dass alles ausreicht, aber die Anstrengung sollte man honorieren“, so Cames. Klarheit darüber, wie nachhaltig die Europameisterschaft tatsächlich war, wird erst die Schlussbilanz bringen. Wenn also am 14. Juli 2024 im Berliner Olympiastadion der Schlusspfiff ertönt, geht die Arbeit erst richtig los.  

Ida Mohrhardt, Katharina Baum

Olympische Winterspiele 2026

Auch die nächste Winterolympiade findet in Europa statt, im Norden von Italien. Um möglichst keine neuen Sportanlagen bauen zu müssen, verteilen sich die Wettkämpfe auf bereits bestehende Anlagen in der Region zwischen Mailand und Cortina d'Ampezzo. So finden die Ski-Alpin-Wettbewerbe der Herren in Bormio statt, Langlauf und Nordische Kombination in Val di Fiemme und Biathlon in Antholz. Eiskunstläufer*innen und Eishockeyteams treffen sich in Mailand, Bob-, Rodel- und Skeleton-Athlet*innen in Cortina. So wird bestehende Infrastruktur optimal genutzt und unnötige Emissionen für Neubauten werden vermieden.

Handball-Europameisterschaft 2024

Neben der Fußball- findet auch die Handball-Europameisterschaft im kommenden Jahr in Deutschland statt. Der Deutsche Handballbund hat dafür eine Vereinbarung mit der Deutschen Bahn getroffen: Alle Mannschaften werden mit dem ICE zwischen den Spielstätten Düsseldorf, Berlin, Mannheim, München, Hamburg und Köln wechseln. Für Fans, die ein Ticket zu einem der Spiele haben, bietet die Deutsche Bahn günstige Sondertickets für Fahrten zwischen den Spielorten an. So setzen die Veranstalter effektive Anreize, um möglichst viele Emissionen im Mobilitätsbereich einzusparen.