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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Reise 4/2015

Goldrausch in der Surselva

Goldwaschen gehört zu den großen Abenteuern für kleine Leute in Graubünden.

Alle Fotos: Stefan SchwenkeAus dem eiskalten Flusswasser schaufeln die Goldsucher Steine und hoffen auf Körnchen des glänzenden Edelmetalls in ihren Pfannen.

Brrrr, ist das kalt. Anina hat die grüne Plastikschüssel voller Sand und Steine tief ins Rheinwasser getaucht und bewegt sie langsam hin und her. So ungefähr hatte es Gold-Gusti vorgemacht. Aber jetzt muss sich die Elfjährige erst einmal die Finger wärmen. Die gummistiefelbewehrten Füße im knapp zehn Grad kalten Wasser, sitzt Anina auf einem Stein in der Sonne, die Augen konzentriert in die Schüssel gerichtet. Die größeren Steine sind schnell aussortiert, aber um den Sand weiter auszuwaschen, müssen die Hände wieder ins kalte Flusswasser. Gut, dass man sich daran gewöhnt. Langsam spült Anina wieder und wieder eine kleine Ladung Sand und Kies mit einer Welle in den Fluss – bis sie leer ist. „Kein Gold“, sagt Anina. „Dann muss ich wieder von vorne anfangen.“

Bei Gold-Gusti, der mit wirklichem Namen August Brändle heißt, sah alles ganz einfach aus. Und vor allem: Am Ende seiner Einführung ins Goldwaschen auf dem idyllischen Campingplatz Fontanivas im Bezirk Surselva im Schweizer Kanton Graubünden blinkten wirklich ein paar klitzekleine Goldkörnchen in der Schüssel. Zwei davon haben Anina und ihre drei Brüder geschenkt bekommen. Als Motivation – und für alle Fälle. Aber jetzt gibt’s keine Geschenke mehr, jetzt wollen Gabriela und Benni, die Eltern, mit Anina, Nils, Leon und Noé eigenes Gold. Immer wieder positioniert Papa Benni dafür eine metallene Goldrutsche unter tatkräftiger Mithilfe von Nils und Levin anders im Flusswasser. „So ungefähr hat er gesagt, oder?“ Der 37-Jährige baut noch einen kleinen Damm aus Steinen, während die acht- und sechsjährigen Jungen mit vereinten Kräften ersten Sand in die Rutsche schaufeln.

Goldwaschen im Rhein gehört vielleicht zu den größten Abenteuern für kleine Leute in Graubünden. Und nicht nur für sie: Rund 200 Hobbygoldsucher sind nach Brändles Angaben regelmäßig im Rhein unterwegs. Wer sich zum ersten Mal daran versucht, kann Einführungskurse oder gleich ganze Exkursionen buchen. Wer es auf eigene Faust probieren will, bekommt die richtige Ausrüstung beim Goldprofi auch geliehen: Schaufel und Eimer, eine Goldwaschrinne, für die Feinarbeit eine grüne Schüssel sowie ein kleines Reagenzglas für den Erfolgsfall, um Goldfunde sicher nach Hause zu bringen. Und nicht zu vergessen: hüfthohe Gummistiefel, die schon beim Anmarsch an eine geeignete Stelle gute Dienste tun. Gleich drei Mal müssen Gabriela und Benni mit ihrem Nachwuchs durch den Rhein – in der Strömung, die die Beine stellenweise kniehoch umspült. Gar nicht so einfach und für die Drei- bis Elfjährigen in Papas „Trage-Taxi“ schon das erste Abenteuer.

Faszination Goldwaschen: Gusti macht vor, wie es geht.

Der Medelser Rhein, ein Quellfluss des Rheins, der sich auf dem Gebiet der Gemeinde Disentis-Mustér mit dem Vorderrhein vereint, gilt als der goldreichste Fluss der Region. Hier hat Gold-Gusti in einem Wohnwagen sein Hauptquartier und sein Revier direkt vor der Nase. Mit der nötigen Ausdauer fände etwa die Hälfte seiner Gäste Gold, sagt Brändle. Als 2008 das letzte Hochwasser den Rhein gehörig umgegraben hatte, „da hat eigentlich jeder was gefunden. Jetzt ist es etwas zäher“, gibt er zu. „Aber das kann sich jederzeit wieder ändern.“ Das Waschen von Gold aus dem Rhein ist in Disentis ohne Bewilligung möglich. „Bis zu 100 Gramm“ könne man als Experte am Tag aus dem Fluss waschen, sagt Brändle.

„Aber das wäre dann ein sehr guter Tag.“ Anina und ihrer Familie würden ja ein paar Körnchen reichen. Hinter einem großen Felsen hat Papa Benni sich für eine Grabung entschieden. Kein leichtes Unterfangen, durch den groben Flusskies tiefer zu kommen, aber das Familienoberhaupt entwickelt Ehrgeiz. „Genau das Richtige für Männer“, sagt Gabriela, während sie ihren Mann aus sicherer Entfernung beobachtet. Sie grinst – und löst Tochter Anina an der grünen Goldpfanne ab. Irgendwo muss doch was zu finden sein. Nur Noé lässt der aufkommende Goldrausch der Familie weitgehend kalt. Der Dreijährige gibt eindeutig Keksen den Vorzug.

Sich Zeit lassen

Wie hatte Gold-Gusti erklärt? „Gold ist acht Mal schwerer als Steine.“ Das soll helfen, das Edelmetall vom Kies und Sand zu trennen. „Es muss immer alles in Bewegung sein“, so Brändle, während er an seinem Übungsbecken Steine und Sand schwungvoll mit einer Ladung Wasser aus der Pfanne gespült hatte. „Nur so kann sich das Gold unten absetzen.“ So waren, mit geübter Bewegung und aufmerksam beobachtet von den sechs Goldwäschern in spe, immer mehr Steine, Steinchen und Sand wieder im Wasser gelandet. Zufrieden war der 60-Jährige erst, als die Pfanne fast leer war – und in der Tat, ein paar golden glänzende Körnchen klebten am Plastik. „Ganz wichtig: Lasst euch Zeit“, sagt er. „Die großen Nuggets findet man selten, aber leicht. Nur wer die kleinen Goldkörnchen auch findet, ist ein Profi.“

In Papas Tragetaxi über den Fluss: In Graubünden ist der Rhein noch jung und wild.

Das lässt Benni nicht auf sich sitzen – und da die Chance auf den Erfolg schlicht von der Menge des gewaschenen Gesteins abhängt, lässt er die Muskeln spielen. Während Nils überwacht, dass keine großen Steine die Rinne blockieren, schaufelt der Papa Aushub heran. In der Rinne fließt das Wasser über Querstreben, einen Gitterrost und eine grüne Kunststoffmatte und reißt die meisten Steine und den Sand gleich wieder mit – nur das Gold soll am Ende durch sein Gewicht gleich unter den Querstreben liegen bleiben, hatte der Gold-Profi versprochen, der mit dem Fund seines 48,7 Gramm schweren „Desertina-Nugget“ in der Lukmanier-Schlucht mitverantwortlich ist für den Goldrausch am Rhein.

Ein Goldrausch, den am Ende auch Anina und ihre Geschwister und Eltern mit nach Hause nehmen. Als sie ganz vorsichtig und konzentriert die letzten Sedimente aus der Rinne in der Plastikschale sortieren, blinkt und glänzt es auf ihrem Grund tatsächlich verdächtig und gleich sechs kleine „Flöckli“ wandern vorsichtig in das Mini-Reagenzglas. Dafür haben sich die kalten Finger doch gelohnt.    

Stefan Schwenke

Reise zum Gold

Das Goldvorkommen bei Disentis ist eines der reichsten in Europa.
Infos: www.disentis-sedrun.ch; www.graubuenden.ch
Saisonzeiten: 1. Mai bis 15. Oktober

Preise: Der Einführungskurs kostet  20 CHF für Erwachsene und 10 CHF für Kinder (ab sechs Jahre), eine große Ausrüstung (Goldwaschpfanne, Handschaufel, Spaten, Goldwaschrinne) kann für 35 CHF gemietet werden, eine kleine ohne Goldwaschrinne kostet 10 CHF und Hüftstiefel gibt‘s für 15 CHF am Tag.

Gold Gusti, August Brändle, Jahrgang 1954, hat bereits in Neuseeland, Australien, Kanada und Südfrankreich Gold gewaschen. Er kommt aus Zürich und verbringt den Sommer in Disentis. www.gold-gusti.ch

Wohnen: Wenn der große Goldfund ausbleibt und die Urlaubskasse das 5-Sterne-Hotel nicht hergibt, ist der naturbelassene Campingplatz Fontanivas eine schöne Alternative. Komfor-table Zeltbungalows und ein Mietwohnwagen stehen für Camper, die ohne eigene Ausrüstung anreisen, auf einer Bergwiese zur Verfügung. camping.disentis@tcs.ch

Einige Jugendherbergen sind besonders auf die Bedürfnisse von Radreisenden eingestellt und mit dem Gütesiegel „Bett&Bike“ des ADFC ausgezeichnet.

fairkehr 5/2023