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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 6/2013

Punkte setzen Ausrufungszeichen

Bremen fördert das Carsharing, lindert damit die Parknot und entspannt den Verkehr. Die Investitionen sparen der Stadt viele Millionen Euro.

Fotos: Sebastian HoffMichael Doepke ist langjähriger cambio-Kunde. Der Selbstständige hat sein Auto vor Jahren abgeschafft. Carsharing nutzt er vor allem beruflich, mitunter mietet er die Fahrzeuge auch an den „mobil.punkten“.

Verstopfte Straßen, fehlende Parkplätze, Lärm- und Abgasbelastungen: Die Probleme, die in Bremens zentrumsnahen Quartieren bestehen, kennen viele Städte. Auch Carsharing zu fördern ist kein Alleinstellungsmerkmal der Hansestadt. Einzigartig ist hingegen das Konzept der „mobil.punkte“ und „mobil.pünktchen“: Als erste Kommune in Deutschland weist Bremen seit 2003 Carsharing-Stationen im öffentlichen Straßenraum aus. Dort können Nutzerinnen und Nutzer vor allem Kleinwagen des Anbieters cambio ausleihen. Abschließbare Bügel sichern die Stellflächen gegen Falschparker. Alle Stationen sind mit Fahrradbügeln ausgestattet, Bus- und Bahnhaltestellen befinden sich in der Nähe. Erkennbar sind die „mobil.­punkte“ von weitem an den drei Meter hohen blauen Stelen.

„Die mobil.punkte sollen nicht nur funktionieren, sondern auch gut aussehen“, erläutert Michael Glotz-Richter, Referent für nachhaltige Mobilität in Bremen. „Wir wollen mit einem gewissen Stolz zeigen, dass sie Teil eines neuen Mobilitätskonzeptes sind.“ Die rechtliche Grundlage dafür, den ehemals öffentlichen Straßenraum umzuwidmen, bildet der entsprechende Passus im Bremer Landesstraßengesetz. Er sieht die Sondernutzung explizit vor. Und das Bremer Stellplatzortsgesetz ermöglicht Carsharing als Maßnahme, um bei Neubauten die Zahl der benötigten Parkplätze zu reduzieren.

Foto: Sebastian HoffIm Steintorviertel mit seinen engen Straßen und ­wenigen Parkplätzen hat Bremen im Herbst ein „mobil.pünktchen“ eröffnet.

Der politische Rahmen für das Konzept wurde 2009 gesetzt. Im Rahmen des Klima- und Energieprogramms beschlossen alle im Senat vertretenen Parteien fast einmütig den „Car-Sharing Aktionsplan“. Der sieht unter anderem die Einrichtung von „mobil.punkten“ und den damit einhergehenden Ersatz von Privatfahrzeugen durch – entsprechend weniger – Carsharing-Autos vor. Anfangs habe es zwar in der Bevölkerung Skepsis und Ablehnung gegeben, inzwischen sei aber ein Stimmungsumschwung eingetreten, sagt der Bremer Verkehrssenator Joachim Lohse.„Die mobil.punkte sind jetzt in vielen Quartieren heiß begehrt.“ Auch national und international erregten die Bremer mit ihrem Konzept Aufsehen: 2010 stellte es die Stadt auf der Weltausstellung in Shanghai vor.

Die Besten kommen zum Punkt

Inzwischen gibt es in verschiedenen innenstadtnahen Stadtteilen zehn „mobil.­punkte“, an denen 50 Fahrzeuge stehen. Jedes Carsharing-Auto ersetze etwa elf private Pkw, sagt Jutta Kirsch, Sprecherin von cambio. Bisher habe die 185 Fahrzeuge umfassende Flotte den Bremer Straßenraum um rund 2000 Pkw entlastet. Bis 2020 sollen es nach dem Willen der Stadt sogar 6000 sein. „Dieses Ziel ist ambitioniert, aber wir sind auf einem guten Pfad“, sagt der Referent für nachhaltige Mobilität Glotz-Richter. Er geht davon aus, dass sich die derzeitige Zahl von rund 8300 Carsharing-Nutzern mehr als verdoppelt, wenn die Stadt in den kommenden Jahren neue Stationen einrichtet.

Denkbar sei durchaus, dass auch andere Carsharing-Anbieter die „mobil.­punk­te“ nutzten, erklärt Glotz-Richter. Allerdings müssten diese zwei Bedingungen erfüllen: Zum einen muss das Unternehmen das Umweltzeichen „Blauer Engel“ tragen. Das heißt unter anderem, eine umweltfreundliche Fahrzeugflotte besitzen und seine Kunden dazu anregen, möglichst wenig Kilometer zu fahren. Zum anderen sollen die Unternehmen nachweisen, dass sie mit ihrem Angebot den Parkraum deutlich entlasten. Glotz-Richter sieht hierin einen wichtigen Bezug zum deutschen Straßenverkehrsrecht, das die „Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs“ als zentrales Ziel benennt.

„Die Anforderungen sind eine große Herausforderung für uns“, sagt Jutta Kirsch von cambio. „Andererseits stellen die mobil.punkte auch eine Riesenchance für uns dar.“ Für cambio war es immer schwerer geworden, in den Quartieren, in denen besonders viele Carsharing-Kunden leben, Stellplätze etwa auf Kirchengelände oder Flächen von Behörden zu finden. Nicht zuletzt deshalb begrüßt Kirsch es sehr, dass die Stadt noch einen Schritt weiter gegangen ist: Diesen Herbst hat Bremen die ersten beiden „mobil.pünktchen“ in Wohngebieten eingerichtet. Mehr als zehn weitere sollen im kommenden Jahr folgen – auch in Quartieren, die eher außerhalb und weit von den bisherigen cambio-Stationen entfernt liegen. „Wir sind dorthin gegangen, wo das größte Potential, aber auch die größten Probleme bestehen“, erläutert Michael Glotz-Richter.

Tiefgaragen kosten mehr

Für diese Mini-Stationen werden in der Regel zwei Carsharing-Parkplätze ausgewiesen und eine kleinere blaue Stele errichtet. Weitere Baumaßnahmen sollen die Situation für Fußgänger verbessern, das Falschparken verhindern und der Feuerwehr und Müllabfuhr die Durchfahrt erleichtern.

Für die Einrichtung der „mobil.punkte“ und „-pünktchen“ nimmt Bremen viel Geld in die Hand: Die einfachste Ausführung koste etwa 5000 Euro, für aufwendigere bauliche Maßnahmen müssten bis zu 40000 Euro bezahlt werden, erläutert Glotz-Richter. Zu den Ausgaben gibt es seiner Ansicht nach aber keine Alternative. Denn wenn der Stadtstaat einen vergleichbaren Entlastungseffekt für das Parkproblem etwa durch Hoch- oder Tiefgaragen schaffen wollte, müsste er bis zu 60 Millionen Euro investieren. Geld, das Bremen nicht hat.

Sebastian Hoff

fairkehr 5/2023