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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 2/2015

Café auf Rädern

In vielen Städten freuen sich Kundinnen und Kunden über guten Kaffee unterwegs.

Foto: Sebastian HoffKaffeeradbesitzer Amin Babakarchel verkauft „gute Produkte und gute Laune“. An sonnigen Tagen stehen die Hannoveraner Schlange (Bild rechts).

Manchmal hat Amin Babakarchel einen Auftritt wie ein Schauspieler: Dann radelt er mit seinem Café Vélo in einen Festsaal und Hunderte Köpfe drehen sich zu ihm um. Auch viele Hochzeitsgäste staunen über sein mobiles Café, wenn er nach der Trauung vor der Kirche oder dem Standesamt steht. „Einige machen sogar Fotos von mir“, erzählt der 43-Jährige.

An seinen angestammten Plätzen in Hannover ist das Café auf Rädern allerdings schon ein vertrauter Anblick. Regelmäßig steht Amin Babakarchel auf hannoverschen Wochenmärkten oder am zentral gelegenen Maschsee. Um auf öffentlichen Plätzen verkaufen zu können, benötigt er eine spezielle Betriebsgenehmigung. An die Stadt entrichtet er dafür Gebühren. Die Einkaufsstraßen in der City sind für ihn aber tabu, weil dort der „Ambulante Straßenhandel auf Rädern“ verboten ist.

Das Café Vélo ist inzwischen ein lohnendes Geschäft. Vor allem an sonnigen Tagen stehen die Hannoveraner davor Schlange. Viele Passanten und einige Stammgäste schätzen das Angebot an fair gehandeltem Biokaffee und Tee, frisch gepressten Säften und italienischem Gebäck. Für alle Kunden hat Amin Babakarchel außerdem ein freundliches Wort oder einen Scherz parat. „Ich verkaufe gute Produkte und gute Laune. Die Menschen sollen mit Freude zu mir kommen“, sagt der gebürtige Afghane, der Mitte der 90er-Jahre vor den Taliban nach Deutschland flüchtete.

Not macht erfinderisch

In Afghanistan hatte er Journalismus studiert, in seiner neuen Heimat fand er jedoch keine Anstellung in dem Beruf. Also ließ er sich zur Fachkraft für Schutz und Sicherheit ausbilden. Gut fünf Jahre lang bewachte er anschließend als Detektiv Supermärkte. Dann lief sein Vertrag aus. Anschließend hangelte er sich von einem Job zum nächsten und war immer wieder arbeitslos – bis er auf die Idee kam, ein Fahrrad-Café zu betreiben. „Not macht bekanntlich erfinderisch“, erzählt Amin Babakarchel.

Fotos: Sebastian Hoff

In anderen Städten hatte er Vorbilder gesehen. Insbesondere das Osnabrücker Franchise-Unternehmen Coffee-Bike ist mittlerweile vielerorts präsent. 2011 wagte er den Schritt in die Selbstständigkeit. Längst hat er sich einen Namen gemacht und wird regelmäßig von Veranstaltern oder für Privatfeiern gebucht. Das Café-Vélo ist ein Ein-Mann-Unternehmen. Wenn besonders viel zu tun ist, werden aber auch Aushilfen beschäftigt. Irgendwann will Amin Babakarchel expandieren, vielleicht weitere Fahrrad-Cafés anschaffen und Personal einstellen.

Viele Kunden wollten ihm schon das Geheimnis entlocken, wie er die Heißgetränke zubereitet, so ganz ohne Strom- und Wasseranschluss. „Das verrate ich aber nicht“, sagt er mit geheimnisvoller Miene. Immerhin gibt er preis, dass in dem Fahrradaufbau ein besonders leistungsstarker Akku sowie ein 50-Liter-Wassertank verborgen sind. Das Lastenrad und die Kiste darauf hat er in den Niederlanden erworben. Die weiteren Aufbauten und die Technik entwickelte und montierte er selbst. Wo es möglich ist, verkauft er seine Getränke in Porzellangeschirr, an einigen Standplätzen muss er sich jedoch mit Einwegbechern behelfen.

Amin Babakarchel hatte auch schon Engagements in Hamburg und Berlin. Für weite Strecken packt er sein Café Vélo in den Autoanhänger. Liegt sein Ziel jedoch in Hannover, radelt er meist mit seinem Fahrrad dorthin. Dann muss er rund 350 Kilogramm in Bewegung setzen – komplett aus eigener Kraft, wie er betont. Die Kaffeefahrt geht gemächlich auf breiten Radwegen oder auf der Straße voran. Probleme mit Autofahrern bekommt er deshalb aber nicht. Im Gegenteil: „Einige rufen mir aus dem Fenster zu, ich soll ihnen schnell mal einen Kaffee zubereiten“, erzählt er. Das wäre dann eine ganz neue Variante von „Coffee to go“.

Sebastian Hoff

fairkehr 5/2023