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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Politik 5/2015

Letzte Chance Paris

Ende November entscheiden die Klimadiplomaten der Welt auch darüber, ob die Menschheitsprobleme des 21. Jahrhunderts friedlich und demokratisch in den Griff zu bekommen sind.

Foto: picture alliance/NurPhotoIn vielen Teilen der Welt spüren die Menschen den Klimawandel und die sich häufenden Unwetter und Katastrophen schon heute.

Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen“, hat der Komiker Karl Valentin einmal gesagt. Aber die Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen beweisen das Gegenteil. „Hop oder Top“ – wenn sich die Klimadiplomaten am 30. November in Paris zur 21. Vertragsstaaten-Konferenz (COP 21) treffen, gibt es genau nur diese zwei Prognose-Optionen. „Erfolg oder Scheitern“ – entweder den 195 Vertragsstaaten gelingt es, einen neuen Weltklimavertrag zu beschließen. Oder aber die Klimadiplomaten schaffen sich selbst ab.

Paris ist die letzte Chance der Klimadiplomatie. Um das weltweite Klima auf heutigem Niveau zu stabilisieren, müssen die Emissionen ab 2020 jährlich um mindestens zwei Prozent sinken. Dazu muss der neue Vertrag erstmals alle Staaten zu eigenen Anstrengungen verpflichten. Aber dafür ist die Zeit enorm knapp: Der in Paris beschlossene Vertrag muss von den einzelnen Vertragsstaaten in nationales Recht überführt – ratifiziert – werden. Beim Kyoto-Vertrag dauerte das acht Jahre, vor allem, weil viele Details des 1997 beschlossenen Protokolls erst im Nachgang ausgehandelt wurden. Diesmal bleiben den Diplomaten bei ungleich komplexerer Gemengelage vier Jahre Zeit.

Auf dem Spiel steht in Paris mehr als nur die Stabilisierung des Weltklimas. Die COP 21 wird im Dezember auch darüber entscheiden, ob die Demokratie in der Lage ist, Mensch-heitsprobleme des 21. Jahrhunderts zu lösen. Das System der Klimadiplomatie ist Demokratie in Reinform. Kein anderer multilateraler Prozess hat sich jemals demokratische Prinzipien derart zu eigen gemacht. Jeder Staat hat eine Stimme, egal, ob sein Volk 1,38 Milliarden Menschen stark ist wie das Chinas oder ob es nur 1611 Menschen sind wie im Pazifikstaat Niue. Sogar die Diktatoren dieser Welt haben sich mit der Klimadiplomatie auf demokratische Prinzipien eingelassen.

Jede Interessengruppe hat Zugang zu den Verhandlungen und kann Despoten kontrollieren, Partikularinteressen aufdecken, und versuchen, die Verhandlungen am Rande zu beeinflussen. Kein anderer Prozess in der Menschheitsgeschichte ist über zwei Jahrzehnte transparenter verlaufen als die Klimadiplomatie unter dem Dach der Vereinten Nationen. Kein anderer Prozess hatte so weitreichende Einflussmöglichkeiten der Zivilgesellschaft auf die Regierungen dieser Welt. Ein neuerliches Scheitern der Klimadiplomaten würde zeigen, dass die Rivalität der Staaten um den Deponieplatz in der Atmosphäre nicht gemeinschaftlich durch Demokratie zu lösen ist. Die Europäer drängen ja gerade deshalb auf einen Erfolg der Klimadiplomatie, weil der Misserfolg ihr klassisches Gesellschaftsmodell infrage stellen würde – das Vermehren von Wohlstand mit Zukunftssicherung zu verbinden, und zwar nach demokratischen Prinzipien.

Hans Joachim Schellnhuber, Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, hatte bereits vor dem Klimagipfel in Kopenhagen gewarnt, wenn die Treibhausgasemissionen nicht schnell verringert würden, sei Klimaschutz nur noch „im Rahmen einer Kriegswirtschaft zu leisten.“ Die Klimadiplomaten verhandeln darüber, ob die Kriegserklärung noch vermeidbar ist.

Bei einem neuerlichen Scheitern wird das System der Klimagipfel jede Legitimität verlieren. Die UNO wäre als Anlaufort für Menschheitsfragen schwer angeschlagen. Paris entscheidet darüber, ob die multiple Krise aus Artenschwund, steigender Welt-
bevölkerung, abnehmender Ernährungsfähigkeit des Planeten, Rohstoffverknappung und Klimawandel doch noch durch demokratisches Handeln gelöst werden kann. Die Klimadiplomaten haben zum letzten Mal die Chance zu beweisen, dass demokratische Prozesse und Strukturen am besten für die Entfaltung der menschlichen Spezies geeignet sind. In Paris geht es deshalb um die Zukunft der Demokratie. Scheitern die Delegierten, kommt das, was am Ende einer jeden Epoche auf unsere Spezies zukam: Verteilungskämpfe, Überlebenskämpfe, kriegerische Auseinandersetzungen oder Weltkrieg.

Der Schriftsteller Dirk Fleck, einst als „Erfinder des Ökothrillers“ geadelt, entwarf 1993 in seinem Roman „Go! Die Ökodiktatur“ eine Welt im Jahr 2040 nach dem klimatischen Kollaps. Zur Linderung der wetterverwüsteten Welt herrschen „Ökoräte“, die den Speiseplan vegetarisch verordnen, Geld und Reisen abschaffen, Arbeitsdienste für das Überleben vorschreiben und Neubauten verbieten.

Sicherlich: An dieser Stelle ist Karl Valentins „Prognose“-Spruch angebracht. Wer weiß schon, was die Zukunft bringt. Die Prognose, dass der in Paris beschlossene Vertrag aber nicht ausreichen wird, um das Problem zu lösen, diese Prognose kann zuverlässig gestellt werden. Selbst wenn die Staaten ihre freiwillig gemeldeten Reduktions-Verpflichtungen nachbessern würden: Sie reichten bei Weitem nicht aus, um in den „Zwei-Grad-Korridor“ einzuschwenken.

Experten verweisen auf das „Montreal-Abkommen zum Schutz der Ozonschicht“ aus dem Jahr 1987. Damals sei dies „so löchrig wie ein Schweizer Käse“ gewesen, niemals hätte es die Ozonschicht gerettet. Aber dann gab es viele Nachverhandlungen – so lange, bis das Abkommen solide war. Christiana Figueres, die Chefin des UN-Klimasekretariates, sagt einen „graduellen Prozess“ voraus: Erst im Verlauf der auf Paris folgenden Klimakonferenzen würden die Länder ihre Klimaziele anheben, weil sie zur „Einsicht gelangen, dass dies in ihrem langfristigen Interesse liegt“.

Wichtig ist deshalb, dass es einen Vertrag geben wird, wenn auch einen unzulänglichen: 2006 war auf der COP 12 in Nairobi beschlossen worden, Verhandlungen über ein neues Welt-
klimaregime zu beginnen. Zehn Verhandlungsjahre später müssen die Klimadiplomaten beweisen, dass sie und ihre Regierungen dazu in der Lage sind. Weitreichend wird der neue Vertrag in jedem Fall sein: Er wird jährlich 100 Milliarden US-Dollar aus dem Norden in die Staaten des Südens umverteilen und einen Waldschutzmechanismus auflegen. Er wird der Wirtschaft das Signal geben, dass fossile Vermögen in den Bilanzen entwertet werden. Der neue Vertrag wird uns die Chance lassen, die globale Erderwärmung doch noch auf zwei Grad zu begrenzen.

Sollte auf der COP 21 in Paris kein neuer Weltklimavertrag beschlossen werden, könnten die Klimadiplomaten im Frühjahr 2016 den Versuch unternehmen, doch noch zu einer Einigung zu kommen. Das hat es schon einmal gegeben. Im November 2000 erklärte Jan Pronk, der niederländische Umweltminister und Konferenzpräsident der COP 6 in Den Haag, die Verhandlungen für „ausgesetzt“. Die Delegierten konnten sich damals nicht auf die Details zum Kyoto-Protokoll verständigen, die COP 6 drohte zum Fiasko zu werden. Pronks „Aussetztrick“ rettete die Situation: Auf der Folgekonferenz COP 6/2 wurde im Juli 2001 dann in Bonn doch noch jene Einigung erzielt, die in Den Haag einfach nicht zu erreichen war.

Sollte aber auch 2016 kein neues Weltklimaregime beschlossen werden, ist der weltweite Klimaschutz, die Idee einer kollektiven Lösung der größten Bedrohung unserer Spezies, kläglich gescheitert.

Nick Reimer

Nick Reimer ist Chefredakteur des Onlinemagazins klimaretter.info, dem Nachrichtenportal zur Klima- und Energiewende. Von ihm erschien soeben das Buch „Schlusskonferenz – Geschichte und Zukunft der Klimadiplomatie“, oekom-Verlag, 208 Seiten, 14.95 €.

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