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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Kolumne 2/2015

Foto: privatEmpfiehlt sich als Cyclosophie-Papst und Interviewpartner zu allen Fragen des Radverkehrs: fairkehrt-Autor Martin Unfried.

Κύκλοσοφία

Es ist nämlich so: Der Rollwiderstand, die Schwerkraft, der erste Hauptsatz der Thermodynamik, die Parkraumbewirtschaftung und die sozio-kulturelle Autodiktatur sind die ontologischen Feinde des ewigen Fahrradfriedens in Deutschland. Wer das leugnet, hat seinen Kant nicht verstanden!“, sagte ich neulich noch beim Abendbrot zu den Kindern auf Altgriechisch. Die nickten voller Bewunderung und lobten ihres Vaters Geisteskraft. Leider fehlt mir außer Haus das Forum, um dergleichen philosophische Probleme des Radverkehrs zu disputieren. Soll heißen: Das intellektuelle Niveau der bisherigen Raddebatten ist im­mer noch sehr bescheiden. „Schutzbleche sind doof!“, höre ich beispielsweise häufiger aus der Hipster-Ecke, was der Komplexität des Themas nicht wirklich gerecht wird. Hier gilt es nämlich, erst vertiefte Ökobilanzen mit Blick auf Muttis Wäsche-Mehraufwand zu evaluieren. „Radwegepflicht ist super!“, meint so mancher autofahrende Politiker, was ebenfalls ohne Perspektiven- und Netzwerkanalyse etwas unterbelichtet ist (Perspektive Dienstwagen!).

Deshalb heute ein kleiner Versuch der Begründung einer neuen wissenschaftlichen Disziplin. Das ist die Cyclosophie: „die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Kreis (κύκλο) und der Weisheit (σοφία) des Rades.“ Diese Idee kam mir auf dem Rennrad zwischen Glons und Wonk, zwei inspirierenden Käffern, die nicht weit von meiner Haustür entfernt liegen. Vielleicht, so dachte ich in Glons bescheiden, könnte ich als ­Begründer der Cyclosophie in die Geistesgeschichte eingehen. Und immer wenn ich eine erleuchtende Idee habe, gucke ich bei Gugel, ob denn jemand vor mir auf diese geniale, einzigartige Wortschöpfung gekommen ist.

Und siehe da, unter dem Titel Cyclosophie hat der Literaturprofessor Elmar Schenkel einen Text geschrieben zur Beziehung Philosophie und Rad. Und in seinem Buch „Cyclomanie“ dreht sich alles um das Fahrrad in der Literatur. Ja gut, so originell bin ich also doch nicht. Aber es gibt bisher trotzdem noch keine wissenschaftliche Fachdisziplin. Und viel wichtiger: Es gibt noch keinen Cyclosophie-Papst, ­sozusagen einen Dudenhöffer des Radverkehrs. Dudenhöffer kennen Sie? Das ist der Auto­experte von der Universität Duisburg, dessen Telefonnummer bei allen deutschen Redaktionen in der Kaffeeküche hängt. Immer wenn der Börsenpreis von VW oder Mercedes runtergeht, wird Prof. Dudenhöffer nach der fehlenden Managementstrategie ­befragt. Er sagt dann, die Probleme lägen an der fehlenden Managementstrategie. Das wäre was für mich!

Auch mich könnten die Medien in allen wichtigen Radfragen um Rat fragen. Schreit ein Politiker um 6.30 Uhr im Morgenmagazin „Helmpflicht“, dann könnten die von mir bereits um 6.35 Uhr eine wissenschaftlich fundierte und erhellende Antwort kriegen. „Helmpflicht für Fahrradfahrer ja, aber nicht bei empfindlichen Frisuren, Naben- und Kettenschaltungen und im Fall, man erwartet wichtige Anrufe. Helmpflicht im Auto dagegen unbedingt, auch für mitfahrende Hunde.“ Es lebe die Cyclosophie! Schnell wäre ich sicher auch in Talkshows ein gern gesehener Experte, denn in der Verkehrspolitik könnte ich neue, unkonventionelle Ansätze präsentieren. Endlich würde ich mal von Prognos durchrechnen lassen, wie man die Einnahmen der Autobahnmaut als direkte Kilometervergütungen für allochthone Radler auszahlen könnte. Und wie das eigentlich verfassungsmäßig aussieht mit der Enteignung von Autos, die auf dem Radweg parken, und ob die Überholspur auf der Autobahn nicht auch für Speed-Pedelecs reserviert werden könnte.

Natürlich gehört zu einer echten Disziplin mit Anspruch auch der intellektuelle Streit. Dazu käme ich mit meinem brachialen cyclosophischen Manifest: „Das Radial!“. Hauptsatz eins: „Der städtische Raum gehört dem Fahrrad!“ Das bedeutet für die Stadtplanung, dass man sich für das Auto eine Alternative zur Straße einfallen lassen muss. Vielleicht kämen die bisherigen Radwege in Frage. Dann aber mit Benutzungspflicht. Ich lasse das verfassungtechnisch mal in Karlsruhe ­prüfen.

Martin Unfried

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