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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Editorial 1/2015

Kein Mangel an Steinen

Foto: Marcus Glogerfairkehr-Chefredakteur Michael Adler

Es war der frühere saudische Ölminister, Scheich Yamani, der sagte: „Die Steinzeit ist auch nicht aus Mangel an Steinen zu Ende gegangen, das Ölzeit­alter wird nicht erst zu Ende gehen, wenn der letzte Tropfen Öl gefördert worden ist.” Dieser letzte Tropfen naht, auch wenn der derzeit niedrige Ölpreis andere Schlüsse nahelegt.

Das Ende des Ölzeitalters ist so oder so mit erheblichen Risiken verbunden. Denn sowohl der Rohstoffhandel wie auch der Klimawandel neigen zu chaotischen Ausschlägen. Der derzeitige niedrige Ölpreis destabilisiert ganze Länder, wie Russland, Venezuela, Mexiko, Iran und Nigeria. Da außerdem der Welthandel immer noch zu 97 Prozent mit fossilem Kraftstoff abgewickelt wird, stellen schon kleine Irritationen das Funktionieren der gesamten globalen Arbeitsteilung in Frage.

Wie bildet sich der Ölpreis? Das hat mit Angebot und Nachfrage zu tun. Dazu kommt eine gehörige Portion Psychologie. Die Schere zwischen der Weltnachfrage nach Öl und der Förderung aus konventionellen Quellen öffnet sich immer mehr. Die Zeiten des billig sprudelnden Öls sind vorbei. Das „gefühlte“ Angebot bestimmt den Preis.

Seit die Amerikaner massenhaft ­Chemikalien in die Erde pressen, um mit der sogenannten Fracking-Methode in Gesteinen gebundene ölhaltige Stoffe an die Oberfläche zu fördern, fluten die USA den heimischen Markt und fragen weniger Öl am Weltmarkt nach. Diese Fördermethode verursacht neben den befürchteten Umweltschäden auch hohe Kosten. Fracking lohnt sich deshalb nur bei einem Ölpreis ab 80 bis 100 Dollar pro Barrel. Da zurzeit alle  anderen weiterfördern wie bisher und die Weltwirtschaft gleichzeitig schwächelt, sinkt der Preis, zuletzt auf unter 50 Dollar je Barrel. Wahrscheinlich ist der Fracking-Boom made in USA schon bald wieder zu Ende.

Die Ölförderung folgt einem mittelfristigen Schweinezyklus: Ist der Preis hoch, lohnt sich die Förderung aus schwie­rigen Quellen wie der Tiefsee oder mit dem Fracking. Sinkt der Preis, ge­hen die Investitionen in solchen Gebieten zurück. Zieht die Nachfrage dann wieder an, steigt der Preis rasant. Diese Schaukel hatte den Ölpreis 2008 auf fast 150 Dollar pro Barrel getrieben.

Die Ölkonzerne sind außerdem Schwergewichte im weltweit vernetzten Finanzsystem: „too big to fail”, zu groß zum Scheitern. Versicherungen, Fonds und Staaten haben ihr Geld in Öl investiert. Sprich, wenn Exxon, BP & Co pleitegehen, trifft dies das Weltfinanzsystem ähnlich hart wie die Bankenkrise nach der Lehman-Pleite 2008.

Es gibt also einen Automatismus im kapitalistischen System der Gegenwart, immer weiter Öl zu fördern. Wollen wir die Erd­erwärmung bei beherrschbaren zwei Grad halten, müssen wir raus aus diesem Automatismus: Alle Menschen zusammen dürfen höchstens noch rund 700 Gigatonnen CO2 in der Atmosphäre abladen. Allein 2013 lagen die weltweiten CO2-Emissionen mit 35 Gigatonnen auf Rekordniveau. Wir müssen schnell auf die CO2-Bremse treten. Der billige Ölpreis leitet uns in die entgegengesetzte Richtung. Die Weltgemeinschaft trifft in diesem Jahr beim Weltklimagipfel in Paris zusammen, um das Ölzeitalter zu beenden, bevor das Öl zu Ende geht. Es ist vielleicht die letzte Chance.

Michael Adler

fairkehr 5/2023