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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Kolumne 4/2012

Foto: Deutsche Bahn AG/Hans-Joachim KirscheMancherorts wächst die DB über sich hinaus: Das Angebot von DB Regio NordOst für Ausflugsverkehre an die Ostsee ist ernst gemeint.

Keine tierischen Speisen im Radabteil

Oft habe ich darauf hingewiesen, was der eigentliche Vorteil des Bahnfahrens sei: Der passionierte Traintaker bleibt geistig frisch und intellektuell ­gefordert. Am besten, er kombiniert Zug und Rad, muss ich hinzufügen, denn den Gipfel der geistigen Herausforderung erlebte ich letzte Woche: Vier Erwachsene, fünf Kinder, sieben Räder, ein Tandem und ich, der Reiseleiter. Ich war nämlich so unvorsichtig, meiner und einer befreundeten Familie vorzuschlagen, von Maastricht aus ein paar Tage am Rhein Richtung Süddeutschland zu radeln. Ganz spontan, nicht lange geplant, wegen des tollen Wetters Ende Juli.

Über das Wetter keine Klage. Es waren die ersten tollen Tage im verregneten Juli. Natürlich auch ein bisschen enttäuschend, weil erst bei Platzregen ein Radreiseleiter seine echte Klasse zeigen kann. Auch die Plattenbilanz war enttäuschend. Sechs Tage, zwei Platten, natürlich hinten, aber beide am offenen Herzen leicht zu reparieren im Schatten der Loreley.

Überhaupt der Rhein: ist zwischen Koblenz und Mainz wunderschön burgenlastig. Da sage ich noch scherzhaft den meuternden Kindern, dass unsere Jugendherberge in Oberwesel da oben auf der Burg sei, da zeigt der Wegweiser auch genau in Richtung 18-Prozent-Steigung. Das war pädagogisch wertvoll, denn oben erwartete uns eine der besten Jugendherbergen des Universums: Die hatte ein Schwimmbad und herrliche ­Nachos. Merke: „Hoch schlafen lohnt sich“, das wird den Kindern im weiteren Leben eine wichtige Erfahrung sein.

Wenn das Bahnfahren nicht gewesen wäre, hätte ich mich wegen Sonne, Romantik und weinseliger Straußenwirtschaft noch gelangweilt. Aber bereits im völlig überfüllten Fahrradabteil nach Köln war uns ein interessanter Aufkleber aufgefallen. „Das Verspeisen von tierischen Produkten ist aus hygienischen Gründen und aus Gründen der Rücksichtnahme auf Mitreisende im Fahrradabteil nicht gestattet.“ Ja, das stand da, und zwar original im Bahndesign der anderen Warnhinweise. Meine vegetarischen Kinder fanden das überaus logisch und waren erstaunt, als ich die Vermutung äußerte, die Bahn habe wohl Künstler beauftragt, verschmitzte Fahrradabteil-Botschaften zu ersinnen. Der vegetarische Urheber soll sich doch bitte bei mir melden, ich möchte ihn gerne zu Bier und Wurstsalat einladen.

Richtig spannend wurde es, als unsere Etappen am Rhein zu Ende gingen und wir von Mainz den Zug in Richtung Süden nehmen wollten. Challenges: Bei welcher IC-Verbindung von Mainz am Rhein nach Ellwangen an der Jagst ist das Fahrradabteil nicht ausgebucht? Und welche Fahrkarte im Nahverkehr ist im Angbotsdschungel für die Familie die günstigste? Ist beim Ba-Wü-Ticket das Fahrrad dabei? Wie kriegen wir acht Fahrräder in dieses mickrige Fahrradabteil der Regionalbahn neben dem Automaten? Wie kommen wir in Karls­­ruhe zügig beim Umsteigen von Gleis 2 nach Gleis 9? Wer hat die Schlange am Lift eingerechnet? Wo hält das verfluchte Radabteil des Regionalexpresses?

Das fand ich eigentlich das Schönste: Die Bahn könnte einem den ganzen Spaß verderben und einen Wagenanzeiger wie beim ICE aushängen. Tut sie aber nicht. Beim Regionalverkehr, erklärte mir ein routinierter Rollstuhlfahrer, ist der Fahrradwagen entweder am Anfang des Zuges oder am Ende. Bingo!

Er hatte auf vorne gesetzt und verloren, weshalb er halbtot am Ende des Zuges ankam. Wir waren mit unseren Rädern zufällig hinten geblieben und hatten euphorisch eine Flasche Champagner aufgemacht. Das sind Urlaubsgefühle, die einem nur die Bahn bescheren kann. Das Tollste war dann die rasende Hektik der Erwachsenen angesichts der Verspätung beim Massenspurt in Stuttgart (Gleis 8 nach 14). Wie gestandenen Vätern die nackte Panik im Gesicht stand und sie hysterisch kreischten im Angesicht der pfeifenden Schaffnerin, das werden die Kinder so schnell nicht vergessen.

Auch der Reiseleiter hatte übrigens geweint vor Glück, als das Tandem als Letztes durch die enge, alte Tür der alten Regionalbahn nach Aalen gezirkelt wurde und wir beim Nachzählen feststellten, dass anscheinend doch kein Kind am Bahnsteig zurückgeblieben war. 

Martin Unfried

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