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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Kolumne 5/2010

Regenradeln und Tiefbauhochhäuser

Foto:DB AG/Franziska KraufmannWenn diese Menschen sich von „Stuttgart 21“ verabschieden, werden in der Stadt viele unterirdische Grundstücke frei.

I have a problem. Es regnet Katzen und Hunde. Heute Morgen. Mal wieder. Wie bereits öfter angedeutet, stehe ich mit Regen auf dem Kriegsfuß. Wir ha­ben in Maastricht nämlich noch keine überdachten Radwege. Das ist blöd, und darum wurde ich in den letzten Wochen ständig nass auf meinem Fiets. Sowohl der Mittel- als auch der Spätsommer waren bei uns ganz gemein feucht. Und jetzt kommt auch noch der Winter! Insbesondere dass die Autofahrer immer trocken bleiben, empfinde ich als elende Demütigung. Das ist Gift für mein Image als fröhlicher Klimaschützer.

Das Problem: Meine bisherigen Antiregen-Tools überzeugen mich nicht mehr. Natürlich kann ich auch mit Schirm fietsen. Dass ist in den Niederlanden eine eingeübte Kulturtechnik. Doch da weiß ich immer nicht, was blöder ist: mit rechts nicht schalten oder mit links nicht bremsen zu können. „Aber, aber!“, höre ich manchen Klugscheißer sagen. „Es gibt doch schicke Regenkleidung.“ Ja, die gibt es. Ich finde Regenhosen allerdings modisch suboptimal und ich hasse Kapuzen. Warum? Weil ich links und rechts nix sehe, meine Brille beschlägt und meine Nase tropft. Darum.

Deshalb eine Frage an alle velophilen Freunde des Regenradelns. Ich habe ein Foto der Regenrevolution gesehen. Da gibt es anscheinend eine Firma, die hat so eine innovative Überdachung entwickelt. Veltop heißt die: www.veltop.eu. Sowas mit einer echten Windschutzscheibe und einem gespannten Zelttuch über dem Kopf. Sieht skuril aus und ist sauteuer. Das würde ich als Möchtegern-Avantgardist natürlich gern haben. Allerdings bin ich, was Produkte angeht, nicht unbedingt immer „first mover“. Das ist ein Fachbegriff und meint diejenigen, die in den nächsten Monaten das erste Elektroauto kaufen und vom iPad schon gelangweilt sind. Was das Verdeck angeht, da würde ich gern zu den „second movern“ gehören. Also Leute, fährt jemand bereits überdacht? Und ist das supi? Haut das rein? Bleibt man trocken hinter den Ohren? Bitte um schnelle Antwort, der November droht.

Jetzt kommt eine elegante Überleitung. Auch der Bahn gefällt der Regen nicht, besonders nicht in Stuttgart. Deshalb sollen die Züge in Zukunft kilometerlang überdacht fahren. Merkwürdig. Im Zug bin ich noch nie nass geworden. Doch für die Zugwegeüberdachung werden bekanntlich viele Milliarden Euro verbuddelt, ganz genau sind das so zwei, vier oder zehn. Wie schon häufiger angedeutet, liebe ich Großprojekte. Sind die erst mal demokratisch durchgepeitscht beziehungsweise legitimiert, braucht man eigentlich kaum noch zu argumentieren. Dann müssen die Gegner demonstrieren, sogar bei Regen.

Deshalb sollten wir velophilen Klimafreunde uns mehr um Großprojekte kümmern. Und um parlamentarische Peitschen. Nehmen wir meine Idee der überdachten Radwege, die ich unter dem Titel „Stuttgart Trockenbau 21“ bald vorstellen werde. Was könnte man in Stuttgart für eine Milliarde nicht alles an überdachten Radwegen bauen – mit Fotovoltaik und allem Pipapo. Dazu jahrelang Frei-Pedelecs für alle Bürger – mitsamt Strom als kleine Gefälligkeit der Landesregierung. Im Konzept enthalten: die Renaturierung der bescheuerten Stadtautobahn zwischen Staatsoper und Staatsgalerie.

Da könnte die Stadt mit Grundstücksverkäufen toll verdienen. Bei einer Verabschiedung vom Tunnelwahn werden in Stuttgart nämlich ganz viele unterirdische Grundstücke frei. Die könnte man an Banken und Versicherungen verkaufen, die bis zu zehn Stockwerke in die Tiefe bauen dürften. Innovation: Tiefbauhochhaus. Warum müssen die Banker eigentlich immer in bester Lage aus dem Fenster schauen? Tiefbau passt doch viel besser zur unterirdischen Performance der letzten Jahre. Und wir Zugvögel? Genießen die Aussicht auf die autolose Stadt.

Martin Unfried

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