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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Kolumne 2/2010

Mehr Überdachung wagen

Foto: FotoliaMit einem Dach überm Kopf könnten die Rad-Regencapes im Schrank bleiben.

Eine super Idee. Die hatte der ehemalige Präsident des Verkehrsgerichtstags Friedrich Dencker bereits vor einem Jahr. Er regte vorsichtig an, die Überdachung von Radwegen zu erwägen. Zum Mitschreiben: Überdachen. Radwege. Wer sowas in die Welt entlässt, braucht Chuzpe. Radfahrer sind nämlich normalerweise bescheiden und genügsam. Die freuen sich in Deutschland, wenn ein paar Krümel vom großen Kuchen des Verkehrshaushalts für nachträglich hingemurkste Radwege übrig bleiben. Deshalb  finde ich die Überdachungsidee auch so sympathisch. Sie ist endlich mal offensiv unbescheiden. Friedrich Dencker wusste natürlich, dass kleinkarierte Ignoranten Hohn und Spott über ihn ausschütten würden. Bei Spiegel Online machte man sich prompt lustig wegen der Kosten. Wie wäre es denn noch mit einer Heizung? Haha. In der Berliner Zeitung wurde gehöhnt, wer trocken reisen möchte, der nehme doch bitteschön die U-Bahn. Hihihi.

Liebe Witzbolde, heute geht die ganze Häme komplett auf meinen Deckel. Aufgepasst: Ich bin nicht nur der festen Überzeugung, es wäre eine tolle Idee, in der Stadt Radwege zu überdachen, sondern die Überdachung sollte mit Solarmodulen erfolgen. Und damit nicht genug. Der Feind des Radfahrers in der Stadt ist die Ampel. Um im großstädtischen Bereich kreuzungsfreies Fahren zu ermöglichen und die Vorteile des Rades gegenüber dem Auto zu vergrößern, schlage ich vor: überdachte Fahrradhochbahnen auf Stelzen. Damit können wir längere Strecken unschlagbar schnell und trocken zurücklegen. Für dieses Konzept habe ich auch einen Namen: Panorama-Radbahn, kurz Panorama. Englisch: Panorama Bikeway.

Warum wir das brauchen? Weil auch das Fahrradzeitalter spektakuläre architektonische Symbole braucht, die die Sinne ansprechen und etwas Kühnes ausstrahlen. Und wo könnten wir so ein Symbol der Fahrradzukunft besser international platzieren als in der Hauptstadt des lausigen Radweges: in Berlin. Da gibt es nämlich anscheinend Geld.

Ich war letzte Woche dort und habe gelesen, die geplante Verlängerung der Stadtautobahn in Richtung Kreuzberg koste rund 400 Millionen Euro. Wowereit will die offensichtlich haben. Merke: eine Verlängerung um 2,5 Kilometer kostet 400 Millionen. Die Autojohnnies wollen also mal wieder klotzen und niemand lacht. Das darf nicht sein. Deshalb sollten die Freunde der modernen Stadt so schnell wie möglich einen attraktiven Gegenvorschlag machen. 2,5 Kilometer mehr Stadtautobahn würden natürlich keine Verkehrsprobleme lösen.

Investieren wir aber 400 Millionen Euro in spektakuläre Nord-Süd-, West-Ost- und Diagonaltrassen der Panorama, dann wird Berlin über Nacht die führende Fahrradmetropole Europas. Chinesen, Amerikaner und alle anderen würden kommen und Bauklötze staunen. Natürlich muss die Panorama architektonisch vom Feinsten sein. Calatrava, Foster, Koolhaas, Disch. Sie werden in einem Wettbewerb vorschlagen, wie spektakulär die Trasse über der Straße schwebt, wie elegant die Auf- und Abfahrten in die Straßenlandschaft eingebettet werden, wie die Photovoltaik glänzt. Die Panorama-Radbahn wird die architektonische und städteplanerische Sensation des Jahrzehnts. Das Metropolenkonzept der Zukunft.

Die erste Trasse sollte übrigens von Kreuzberg nach Wilmersdorf reichen. Diese Strecke bin ich letzte Woche noch gefahren. Es hatte geregnet. Alles war lausig. Die Radwege, die Beschilderung, die Kreuzungen. Dazu kriminelle Verlegungen wegen Baustellen. Freunde haben erzählt, dass im Winter regelmäßig der Schnee einfach auf die Radwege gekippt wurde. Zustände! Auch da hilft Überdachung. Gefühlt stand ich zwischen Kreuzberg und Wilmersdorf an 50 Ampeln. Mit der Panorama wird sich die Fahrzeit um die Hälfte verkürzen. Der Spaß wird sich verdoppeln, die Sicherheit zunehmen und Berlin wird „Bike City of the Universe“. So, liebe Ignoranten, jetzt Hohn und  Spott frei.

Martin Unfried

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